Fassbind, Alfred A.: Joseph Schmidt. Sein Lied ging um die Welt – Zürich: Römerhof, 2012.- 330 S. Abb.; 1 Audio-CD
ISBN 978-3-905894-14-1 : € 36,80 (geb.)
Der Tenor Joseph Schmidt (1904–1942) gehört zu jenen Künstlern, deren Nachruhm sich über die Jahrzehnte verselbständigt und zum Mythos wird. Fast immer handelt es sich dabei um Tenöre, die bevorzugt weibliche Verehrung genießen.
Die ungebrochene Popularität Schmidts erklärt sich zum Teil sicher auch durch sein tragisches Schicksal, das seine Karriere und sein Leben bereits mit 38 Jahren beendete.
Ursprünglich ausgebildet als Kantor für den Synagogengesang, studiert Schmidt auch klassisches Opernrepertoire und landet schließlich in Berlin, wo er schnell zum Star des neuen Mediums Rundfunk wird. Da seine geringe Körpergröße einer Bühnenkarriere hinderlich ist, konzentriert er sich ausschließlich auf Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen, die ihn rasch einem breiten Publikum bekannt machen. Der Film Ein Lied geht um die Welt macht ihn 1933 endgültig zum Star, aber schon kurz nach der Premiere muss er als Jude aus Deutschland fliehen. Bis 1938 ist Wien seine künstlerische Heimat, danach irrt er, immer auf der Flucht, durch Europa. Illegal gelangt er über die Schweizer Grenze, wird interniert und stirbt – nicht zuletzt wegen versagter ärztlicher Hilfeleistung – am 16. November 1942 an Herzversagen.
Den 70. Todestag hat nun der Schweizer Tenor und Nachlassverwalter Schmidts, Alfred A. Fassbind, zum Anlass genommen, seine bereits vor 20 Jahren erstmals erschienene Schmidt-Biographie aktualisiert und überarbeitet erneut zu veröffentlichen.
Das Buch besticht durch die Fülle des Materials und seinen umfangreichen Anhang, der Schmidts Tonaufnahmen, seine Filme und weitgehend auch seine Auftritte akribisch dokumentiert. Eine beiliegende CD enthält eine kluge Auswahl aus der Fülle von Schmidts Aufnahmen, sogar fünf bisher unveröffentlichte Titel sind darunter.
Durch seine lebenslange intensive Beschäftigung mit Schmidt und seiner Biographie hat der Autor vielleicht eine allzu große Nähe zu dem Porträtierten entwickelt. So vermisst man weitgehend eine kritische Würdigung der sängerischen Leistung und Qualität von Schmidts Stimme. Als „Quereinsteiger“ musste er sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, niemals auch als Darsteller und in vollständigen Bühnenrollen bewähren. Es darf spekuliert werden, ob der chronische, leicht heisere Belag der Stimme und vor allem seine fragwürdige Textbehandlung seine Leistungen bei Opernaufführungen geschmälert hätten.
Schmidts Einspielungen ganzer Opern für den Rundfunk sind leider nur in Fragmenten erhalten, in den frühen Jahren der Rundfunkanstalten wurde fast ausschließlich live gesendet und nicht archiviert. Noch viel bedauerlicher ist die Tatsache, dass nicht alle der von Schmidt aufgenommenen religiösen Gesänge erhalten sind. Die Erhaltenen zeigen den Sänger auf der Höhe seiner Kunst und in seiner eigentlichen Domäne als Kantor.
Die nach wie vor große Fan-Gemeinde Schmidts wird dieses Buch sicher begrüßen, sofern sie nicht vom stolzen Preis abgeschreckt wird.
Peter Sommeregger
Berlin, 16.11.2012