Marie Stütz. Aufzeichnungen einer reisenden Musikerin. Quellentexte und Kommentare / Hrsg. von Monika Tibbe – Oldenburg: BIS-Verlag, 2012. – 121 S.: s/w-Abb. (Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts ; 9)
ISBN 978-3-8142-2257-8 : € 14,80 (Pb.)
Es ist ein Zeitdokument eher persönlicher Natur, das Monika Tibbe, Professorin an der FH Hannover, mit der vorliegenden Veröffentlichung der interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Seine Intimität hängt unmittelbar mit der Art der Quelle zusammen, die hier ihre – zweifellos verdienstvolle – Veröffentlichung erfahren hat: Wie der Titel schon sagt, handelt es sich vorrangig um die (Tagebuch-) Aufzeichnungen der Marie Stütz, einer Musikerin, die als Mitglied einer aus dem Erzgebirge (an der Grenze zwischen Sachsen und Böhmen verlaufendes Mittelgebirge) stammenden sogenannten Damenkapelle Italien, Ägypten und die Türkei bereiste. Bereits 1893 fand dieses seltene Beispiel für Reiseberichte aus der Feder einer noch sehr jungen Wandermusikerin Eingang in das von Theodor Uhle unter dem Pseudonym Max Delia verfasste Buch „Reisende Musikerinnen. Tagebuchblätter“, wobei allerdings zahlreiche, mitunter sinnentstellende Eingriffe den Ursprungstext massiv verfälschten. Anhand der originalen Tagebücher und ergänzt um weitere, bisher unveröffentlichte Aufzeichnungen von Marie Stütz sowie deren Sohn und Enkel (Max bzw. Oskar Stütz) konnte dieses Manko nunmehr behoben werden. Das Resultat ist ein durchaus faszinierender Einblick in die Wahrnehmungs- und Gedankenwelt einer an sich von traditionellen Wertvorstellungen geprägten Frau von starker Heimatverbundenheit, deren Sehnsucht nach Sesshaftigkeit und häuslicher Idylle keinen Widerspruch zu einem wachen Geist voller kultureller Offenheit und Neugier bildet, sondern vielmehr als gleichwertige Antipode ein und derselben Persönlichkeit in Erscheinung tritt. Dementsprechend fokussiert Monika Tibbes Publikation weniger auf Fakten als auf das aus der subjektiven Wahrnehmung einer Einzelperson heraus sich konstituierende kultur- und sozialgeschichtliche Gesamtbild eines spezifischen Lebensentwurfs, nämlich eben jenes einer reisenden Musikerin des 19. Jahrhunderts, der seine Erfüllung in der lang ersehnten Sesshaftwerdung findet.
Insgesamt stellt Monika Tibbes Publikation über Marie Stütz sicherlich eine empfehlenswerte Quelle insbesondere für jene LeserInnen dar, die sich im speziellen für die Biographien reisender Musikerinnen, für Damenkapellen oder die Region des Erzgebirges interessieren. Ein gewisses Maß an historischem Hintergrundwissen ist zwar für die Lektüre nicht zwingend erforderlich (Tibbes Anmerkungen liefern hier eine praktikable, wenn auch eher rudimentäre Orientierungshilfe), gewiss aber nützlich, um auch feinere Details in den wiedergegebenen Schilderungen Marie Stütz’ zu erfassen, die ansonsten womöglich untergehen mögen. Vergleichsweise wenig erfährt man über Repertoire, Probenarbeit und konkrete Aufführungen der Musikkapelle Stütz, während hingegen ein atmosphärisch dichtes und in seiner Lesbarkeit angenehmes Sittengemälde gezeichnet wird. Monika Tibbes Quellenkommentar, der nach einer informativen Einleitung und der eigentlichen Dokumentensammlung den dritten Teil der Broschüre bildet, rundet das Gesamtbild ab. Eher knapp gehalten greift er wichtige Fragen auf, die während der Lektüre zum Vorschein gekommen sind – und weckt das Interesse auf mehr.
Michaela Krucsay
Leoben, 24.10.2012