Das Radio spricht. Das Radio swingt. 1918 bis 1933. Die Geschichte des Rundfunks in Deutschland / Hrsg. von Michael Marek und Hans Sarkowicz. – Produktion: Hessischer Rundfunk. – Berlin: Universal, 2005. – 1 Audio-CD, Gesamtlaufzeit: ca. 80 min.
ISBN 3-8291-1524-5 : € 18,00
Radio unterm Hakenkreuz von 1933 bis 1945. Die Geschichte des Rundfunks in Deutschland / Hrsg. von Hans Sarkowicz. – Produktion: Hessischer Rundfunk. – Berlin : Universal, 2004. – 2 Audio-CDs, Gesamtlaufzeit: 156 min.
ISBN 3-8291-1448-6 : € 18,00
Seit geraumer Zeit nehmen Hörbücher in den Wirtschaftsprognosen und –statistiken sowohl von Tonträgerfirmen als auch von Buchverlagen einen immer gewichtigeren Platz ein. Pressemeldungen zufolge ist dieses Segment sogar Spitzenreiter beim Marktwachstum. Stammen die Topseller dieser Spezies auch überwiegend aus dem fiktionalen Bereich, ist es nur folgerichtig, weitere literarische Gattungen für audiophile Menschen zu erschließen. Aus diesem Umfeld stammt die vorliegende, bei der Deutschen Grammophon (Universal) erschienenen Reihe Die Geschichte des Rundfunks in Deutschland. Von der in vier Teilen konzipierten Reihe sind die beiden ersten bereits erschienen: Das Radio spricht. Das Radio swingt. 1918 bis 1933 (1 CD) und Radio unterm Hakenkreuz von 1933 bis 1945 (2 CDs). Die Publikationen können ohne Übertreibung als äußerst gelungen bezeichnet werden und sind auch erhellend für diejenigen Hörer, die sich bereits vorher intensiv mit der Rundfunkgeschichte auseinandergesetzt haben. Denn ausgehend von der Tatsache, dass der Rundfunk eine Kunst- und Kommunikationsform ist, die sich ausschließlich über die Gehörgänge verbreitet, ist die wissenschaftliche und geschichtliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik in Hörform eigentlich zwingend. Hinzu kommt, dass die CDs von Personen, die sich von Berufs wegen mit der Materie beschäftigen, konzipiert, geschrieben und herausgegeben, sowie mit dem Instrumentarium rundfunkeigener Programmgestaltung aufgenommen wurden. Das Ergebnis ist somit fachlich fundiert, wird aber auch benutzerfreundlich und dramaturgisch geschickt präsentiert. Der zeitgeschichtlich gesehen erste Teil der Edition, Das Radio spricht. Das Radio swingt. 1918 bis 1933, der 2005 – und damit ein Jahr nach Radio unterm Hakenkreuz von 1933 bis 1945 – erschienen ist, wurde von Hans Sarkowicz herausgegeben. Dem Leiter des hr2-Wellenteams „Kultur, Bildung und künstlerisches Wort“ beim Hessischen Rundfunk stand der Politologe Michael Marek zur Seite, der vor allem als Autor für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig ist, aber auch weitere Veröffentlichungen zur Film-, Medien- und Zeitgeschichte vorweisen kann. Zum Herausgeberteam der gesamten Edition gehören neben Sarkowicz Heiner Boehncke (Literaturwissenschaftler und ehem. Literaturredakteur beim hr), Michael Crone (Abteilungsleiter Dokumentation und Archive, hr) sowie Dorothee Meyer-Kahrweg (Autorin und Moderatorin bei der Kulturwelle hr2).
Die Radiogeschichte wird, wie es ihrer Natur entspricht, mit den ureigenen stilistischen und formalen Mitteln des Rundfunks wiedergegeben. So wechseln sich zum einen verschiedene Sprecher mit dem Manuskripttext ab, zum anderen streuen die Produzenten sowohl O-Töne von Bertolt Brecht oder Hans Bredow als auch später aufgezeichnete Erinnerungen von Rundfunkhistorikern oder –pionieren sowie Musikbeiträge und Reportageschnipsel ein. Einige Originalbeiträge aus den 1920er Jahren, wie etwa das Kabarettstück von Ludwig Lommel oder die Erkennungsmelodie der NORAG, wirken etwas aufgesetzt und ohne direkten Zusammenhang zum gerade behandelten Inhalt. Dies wird aber verständlich, ist doch die Zahl der Originalquellen so gering, dass nicht jeder inhaltliche Gedanke mit einem passenden Zitat unterlegt werden kann. Charmant aber sind die Beiträge allemal, schließlich hat man nicht allzu oft Gelegenheit, den Stimmen von Albert Einstein oder Arnold Schönberg zu lauschen.
Den Herausgebern ging es bei der Konzeption weniger um eine Programmgeschichte des Rundfunks, auch wenn dies der Titel (Das Radio swingt) und die beiden Charleston tanzenden Damen auf dem CD-Cover suggerieren, als um die technische, politische und gesellschaftliche Entwicklung des Mediums. Deutlich rücken die Herausgeber den Anspruch der damaligen Verantwortlichen in den Mittelpunkt, den Rundfunk nicht – wie es auch Hans Bredow ablehnte – als Sensation zu betrachten, sondern als legitimes Mittel zur Unterhaltung und Volksbildung. Programmgeschichtlich relevante Beiträge sind auf der ersten CD eher am Ende zu hören. Besprochen werden beispielsweise rundfunkeigene Genres wie die Ende der 1920er Jahre erstmals ausgestrahlte Außenreportage, die in Form einer Fußballübertragung auf die CD gebrannt wurde. Genauer betrachtet werden von den Herausgebern auch das Hörspiel (am Beispiel von Walter Ruttmanns Weekend von 1930) oder neue musikalisch-literarische Formen wie den Lindberghflug (Text: Bertolt Brecht, Musik: Paul Hindemith und Kurt Weill) oder Leben in dieser Zeit (Text: Erich Kästner, Musik: Edmund Nick). Rundfunkhistorisch betrachtet bieten die Beiträge an sich keine Neuheiten. Doch die Form der Präsentation und die Verbindung mit den Originalquellen beleuchten die bekannten Fakten aus verschiedenen Blickwinkeln, die durchaus in der Lage sind, Zusammenhänge plastischer herauszuarbeiten oder neu herzustellen.
Das letzte Kapitel der ersten CD, als „Völkischer Abgesang“ bezeichnet, leitet thematisch zum Inhalt der beiden CDs des Radio unterm Hakenkreuz-Teils der Edition über. In eindrucksvollen und prägnanten Statements und Zitaten informieren die Autoren über die schon vor 1933 einsetzenden starke Einflussnahme der Regierung(en) auf das Programm der Rundfunkstationen und schildern die in kürzester Zeit nach der Machtübernahme stattfindenden Umstrukturierungen und Entlassungen. Löst schon dieser Prozess beim Hörer Beklommenheit und zum Teil auch Ungläubigkeit über die damaligen Verhältnisse aus, sind andere Originalquellen an Zynismus und Menschenverachtung kaum zu überbieten. Exemplarisch hierfür ist die Reportage aus dem Konzentrationslager Oranienburg, in der ein kommunistischer Häftling dem Reporter Rede und Antwort zum Thema Essen stehen muss, um die Außenwelt von den humanen und guten Haftbedingungen zu überzeugen. Den Herausgebern ist es gelungen, den Weg von der Machtübernahme über den Kriegsbeginn bis zum Ende der Katastrophe stringent nachzuzeichnen und einen sorgfältigen Blick über die politischen Zwänge und gesellschaftlichen Wünsche und Gegebenheiten zu präsentieren. Ein besonderes Kapitel der Rundfunkhistorie wird auf der zweiten CD dieses Teils, *Der Kampf um die Ätherwellen“, mit der Konzentration auf deutsche und nicht-deutsche Propagandasender beleuchtet. Mag die verlegerische Entscheidung, diesem relativen kleinen Ausschnitt aus der Radiogeschichte ein Drittel der CD-Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, unverhältnismäßig erscheinen, so bietet sie den Autoren doch die Möglichkeit, sich intensiver mit diesem hochinteressanten Kapitel zu befassen.
Das Lob für die beiden ersten Teile der Edition Die Geschichte des Rundfunks in Deutschland ist schon in der Einleitung dieser Rezension erklungen und es soll an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich wiederholt werden. Doch seien auch einige wenige Kritikpunkte erwähnt, die eventuell bei den noch fehlenden Teilen oder bei einer Neuauflage berücksichtigt werden könnten. So gehen die Autoren im ersten Teil auf künstlerische Programminhalte wie die Reportage und das Hörspiel ein, klammern aber weniger wortlastige Sendeinhalte weitgehend aus. Dabei bestand das täglich gesendete Programm überwiegend aus musikalischen Darbietungen, und die Wechselwirkungen zwischen Rundfunk und musikalischen Strömungen hatten – selbst abgesehen von den originär für das technische Medium neu komponierten Radiomusiken – spürbare Auswirkungen auf musikalische Prozesse außerhalb der Radiowelt. Hinterfragt werden muss an dieser Stelle auch der im zweiten Teil der Edition immer wieder erklingende Tenor, die komplette Unterhaltungsmusik im Rundfunk unterm Hakenkreuz sei propagandistisch genutzt worden und deswegen seichte Unterhaltung ohne Tiefgang. Sicherlich schloss die Kulturpolitik der Nazis musikalische Experimentierfelder und auch den Jazz weitgehend aus der Programmgestaltung aus, die übrig gebliebene Musik aber kann unter allgemein gültigen Qualitätsmaßstäben betrachtet werden und hat durchaus erwähnenswerte Ergebnisse vorgebracht. Mögen diese inhaltlichen Aspekte auch nachvollziehbar sein, so bleibt aber unverständlich, warum weitgehend auf Informationen und Begleitmaterial zu den CDs verzichtet wurde. So muss sich der Hörer mit einer kurzen textlichen Zusammenfassung und einer – zumindest im ersten Teil – wenig aussagekräftigen Kapiteleinteilung begnügen. Zumindest eine Liste der Originalquellen mit Sprecher, Aufnahmedatum und Sendeanstalt wäre notwendig gewesen, um einzelne Hörbeispiele in den Kontext einzuordnen.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 110ff.