Hensel, Daniel: Wilhelm Friedemann Bach. Epigone oder Originalgenie, verquere Erscheinung oder großer Komponist? - Stuttgart: Ibidem, 2011. – 255 S.: Ill., Notenbeisp.
ISBN 978-3-8382-0178-8 : € 22,00 (kart.)
Der Titel macht neugierig, denn über Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784), den ältesten Sohn von Johann Sebastian Bach und seiner ersten Frau Maria Barbara, gibt es bisher nur wenig Literatur. Nach der ersten grundlegenden Arbeit, der Leipziger Dissertation von Martin Falck von 1913, wurde erst 80 Jahre später - 1993 – in Amerika die englische Dissertation von Peter Wollny publiziert, die bisher allerdings nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Während Martin Falck als Soldat im Ersten Weltkrieg fiel, konnte Peter Wollny seine Forschungen erfolgreich fortsetzen; gerade wurde das von ihm erstellte Verzeichnis der Werke Wilhelm Friedemann Bachs (BR-WFb) publiziert (Juni 2012, s. Rez.)
2011 veröffentlichte der Komponist und Musikwissenschaftler Daniel Hensel sein Buch über Wilhelm Friedemann Bach, das schon im Titel zwei Fragen stellt: Epigone oder Originalgenie sowie verquere Erscheinung oder großer Komponist.
Im ersten Teil beschäftigt sich Hensel ausführlich und kenntnisreich mit Bachs Biographie, danach werden seine Werke vorgestellt und die schwierige Quellenlage skizziert. Nach Überlegungen zur Stilproblematik analysiert Hensel einige Solowerke: eine Sonate, Polonaisen, Fantasien und Fugen. Nach der Zusammenfassung folgen im Anhang die Abkürzungsverzeichnisse von Literatur und Bibliotheken sowie das Werk- und Literaturverzeichnis.
Daniel Hensel will “… dem Leser ein tieferes Verständnis für die Musik Friedemann Bachs“ vermitteln (S. 15), denn er beklagt zu Recht die vielen Vorurteile und Legenden, die einer objektiven Bewertung bisher entgegenstehen. Er selbst schätzt die Musik W. F. Bachs sehr hoch ein: „Diese Studie will aufzeigen, wo die Stärken der Friedemannschen Musik liegen und wo die Schwächen sind, die es natürlich hier und da gibt.“ (S. 35) So verwundert es nicht, dass Hensel Kritikern, wie z. B. Clemens Kühn (S. 32-34, s. a. S. 190 u. Anm. 846) heftig widerspricht.
Gelegentlich fehlen Sorgfalt und Genauigkeit. So ist z. B. auf S. 134 zu lesen: „Das berühmte Friedemann-Bach-Portrait von Georg Friedrich Weitsch hat sich als ein Portrait eines Johann Christian Bach aus dem Jahre 1800 entpuppt. Dies teilte dem Autor das ‚Städtische Museum‘ in Braunschweig mit.“ Hierzu ist zu bemerken: Der Maler heißt nicht Georg Friedrich, sondern Friedrich Georg Weitsch (1758-1828). Mit ‘einem Johann Christian Bach‘ ist der sog. Hallenser „Clavier-Bach“ Johann Christian Bach (1743-1814) gemeint. Dieser war in seiner Jugend Schüler von Friedemann Bach und ist nicht Johann Sebastian Bachs jüngster Sohn Johann Christian (1735-1782), der Halbbruder von W. F. Bach.
Im Literaturverzeichnis sind zahlreiche grobe Fehler, so z. B. in der alphabetischen Reihenfolge der Autoren (S. 251), auch fehlen teilweise Vornamen, Satzzeichen, Orte, Verlage und Jahreszahlen.
Der Druck ist – zumindest für Brillenträger – mühsam zu lesen, da die Buchstaben sowohl blass als auch sehr klein sind, in den Zitaten und den Anmerkungen (1-891) sind es nur 1 bis 2 mm.
Die im Titel aufgeworfenen Fragen: Epigone oder Originalgenie, verquere Erscheinung oder großer Komponist hat Hensel in seinem Buch klar beantwortet. Er hält W. F. Bach für ein Originalgenie und einen großen Komponisten. Seine Studie bietet bei einer Fülle von Material zahlreiche neue Erkenntnisse, sie weist jedoch auch Mängel auf, die sowohl die Lesefreude als auch den wissenschaftlichen Gewinn schmälern.
Susanne Staral
Berlin, 04.07.2012