Wißmann, Friederike: Hanns Eisler – Komponist. Weltbürger. Revolutionär. Mit einem Vorw. von Peter Hamm – München: Bertelsmann, 2012. – 301 S.: Abb. (Edition Elke Heidenreich)
ISBN 978-3-570-58029-5 : € 19,99 (geb.)
Hanns Eisler (1898–1962) wäre fast gelungen, wovon Arnold Schönberg nur träumen konnte, nämlich, dass man seine atonalen Melodien auf der Straße als Gassenhauer pfiff. Immerhin könnte heutzutage gelingen, Eisler und seine Kompositionen in einem postsozialistischen Rahmen, in einem nicht etwa durch die kapitalistische Kulturindustrie, sondern eher durch die 68er Bewegung und deren positive Folgen einigermaßen liberalisierten Musikbetrieb zu etablieren. Passend zur Vorbereitung des 50. Todestags Hanns Eislers im September ist eine Biografie und Werkeinführung erschienen, die diesen selbsternannten, politisch motivierten Musikrevolutionär ohne ideologische Scheuklappen vorstellt und mit der gebotenen distanzierten Sympathie, also nicht kritiklos beschreibt. Friederike Wißmann (Musikwissenschaftlerin und Mitherausgeberin von Eislers Werken) bietet, in Anlehnung an einen Eislerschen Titel, 14 Arten, den Komponisten Eisler zu beschreiben, wobei 12 Arten einzelnen, mannigfaltigen Gattungen angehörenden Werken gewidmet sind, eine weitere Art (die erste) der Familie, den Elten und Geschwistern, den Ehefrauen und dem Sohn sowie eine andere (die letzte) der Physiognomie und dem kugeligen, widerspruchsvollen und schillernden Charakter Eislers.
Für Eisler waren seine 14 Arten den Regen zu beschreiben eigentlich musikalische Beschreibungen der Trauer anno 1941 im US-amerikanischen Exil. Darüber, welche Gefühle ihn zur gleichen Zeit im gelobten Land der Weltrevolution befallen hätten, wohin es seine erste Frau verschlagen hatte, kann man nur spekulieren. Peter Hamm formuliert in seinem Vorwort sehr treffend, was von der einst faszinierenden Bekanntschaft mit den so kämpferischen Liedern Eislers nach Jahrzehnten übrig geblieben ist: die Enttäuschung über den Weltlauf, die Trauer, die Eisler schon mit hineinkomponiert hat. Denn die Tragödie von 1933 mit den Folgen von Weltkrieg und Völkermord an den Juden hinderte ja um 1968 Teile der studentischen Jugend Westdeutschlands nicht daran, gescheiterte politischen Strategien als Farce wiederholen zu wollen. Eislers Musik half auch hier nach.
Und so beschreibt Wißmann, die einer ganz anderen Generation angehört, den Weg Eislers von dem spöttischen Sarkasmus der ersten Wiener Lieder nach Christian Morgenstern, dann der strengen Schule bei Schönberg über die Berliner Kampfzeiten, wo das Singen ein Kämpfen sein musste, bis hin zur späten, durch Niederlagen („aufgefressen von den Wanzen“ der Politbürokraten) gereiften Resignation in der DDR, wo das Singen nach einer Zeile Hölderlins, „nicht Mächtiges“ mehr war, sondern nur noch „zum Leben gehörte“.
Wißmann folgt dem vorgeblich Prinzip, von ihr ausgesuchte Werke Eislers analytisch und teilweise poetisierend zu beschreiben, um die darin involvierten biografischen (mehr als Eisler selbst zugegeben hätte) und die zeitgeschichtlichen, sozialkritischen Komponenten (die Eisler als einzige zugelassen hätte) mit zu erfassen. Was natürlich nicht immer gelingt, denn es gibt nun mal – selbst bei Eisler – den von allen fremdbestimmten Umständen unabhängigen künstlerischen Entwurf, und es gibt von Wißmann in die Kapitel eingeflochtene biografische Fakten, die mit dem beschriebenen Werk schlicht nichts zu tun haben. Letztlich gelingt es Wißmann nicht, die zeitweilige Haltung Eislers, mit der er die Musik der Politik unterordnete und ihren jeweiligen Tagesinteressen dienstbar machte, als die Kehrseite einer zunächst haltlosen, dann haltsuchenden und schließlich Halt im revolutionären Glauben findenden Verzweiflung, die Eisler früh befallen hatte, zu erklären. Es ist Ernst Blochs „unerträglicher Augenblick“, das Leiden an der Welt, wie sie ist, was den sozialistischen Gedanken gebiert, zum prinzipiellen Hoffen (ver)führt und blind macht gegen die Widerstände, die gerade die soziale Wirklichkeit illusionären Weltbeglückungskonzepten entgegenstellt.
Interessant ist, dass Wißmann die 1937 in Prag aufgeführten Kantaten Eislers nicht mit ausgesucht hat, denn an ihnen könnte man zeigen, wie diese weltliche Gebrauchsmusik aus finsteren Zeiten genau wie jene kirchliche Gebrauchsmusik Bachs, in der viel christlich agitiert wird, Grund hätten musikalisch zu überleben. Denn: Bach-Kantaten hört heut jeder bildungsbeflissene Bürger, ohne sich um die pietistische Theologie des musikalischen Agitators Bach zu (be)kümmern. Ähnliches wird man den Kantaten Eislers später einmal aus musikalischen Gründen wohl zubilligen müssen.
Die nur mit 221 kurzen Endnoten und wenigen Zitaten auskommende, bebilderte und zügig durchformulierte Biografie hat einen 70-seitigen nützlichen Anhang: außer den Anmerkungen noch von Eisler bearbeitete und vertonte Texte, eine Übersicht der Lebensdaten, eine Bibliografie und ein Kreuzregister der Sachen und Personen.
Peter Sühring
Berlin, 22.05.2012