Thematisch-chronologisches Verzeichnis der Werke Max Regers und ihrer Quellen. Reger-Werk-Verzeichnis (RWV) / Im Auftrag des Max-Reger-Instituts hrsg. von Susanne Popp. In Zusammenarbeit mit Alexander Becker, Christopher Grafschmidt [u.a.] – 2 Bde. – München: Henle, 2010. – 102, 1.616 S.
ISBN 978-3-87328-123-3 : € 429,00 (geb.)
Wer sich über Max Regers (1873–1916) Schaffen bisher umfassend informieren wollte, der war weitgehend auf das 1953 vorgelegte Thematische Verzeichnis der im Druck erschienenen Werke von Fritz Stein angewiesen. Konnte man mit diesem Katalog auch sehr gut arbeiten, so referierte er zwangsläufig doch nur einen längst überholten Kenntnisstand, und bereits der Titel signalisierte darüber hinaus seine Grenzen: Unveröffentlichtes (darunter Autographe und die anderen handschriftlichen Quellen) blieben unberücksichtigt; dies hätte Stein so wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ohnehin kaum lokalisieren können, weil vieles immer noch provisorisch und an inhaltlich nicht erschlossenen Fundorten untergebracht war; die Teilung Europas durch den „Eisernen Vorhang“ tat ein übriges. Nun ist unter der Federführung von Susanne Popp, der Leiterin des Max-Reger-Instituts (Karlsruhe), ein umfassendes und (abweichend vom Copyrightvermerk) im März 2011 veröff entlichtes Werkverzeichnis entstanden, das alle modernen Ansprüche erfüllt.
Bereits 1984 und 2003 hatte der Henle-Verlag die ebenso verdienstvollen wie systematisch unbeholfenen Werkverzeichnisse zu Johannes Brahms und Robert Schumann von Margit L. McCorkle veröff entlicht, die durch unnötige Wiederholungen von Informationen viel zu umfangreich ausgefallen waren. Wer jetzt die beiden kolossalen Bände des Reger-Werk-Verzeichnisses (RWV) erstmals sieht, die ungefähr so umfangreich wie die beiden zuvor genannten Publikationen zusammen sind (!), der muss zunächst befürchten, dass dafür erneut eine mangelhafte Konzeption verantwortlich sei. Indessen wird man beim Durchblättern des RWV rasch eines Besseren belehrt: Die immense Datenmenge ist dieses Mal vorzüglich und sehr übersichtlich strukturiert.
Dies beginnt bereits beim aussagekräftigen Notenincipit, zu dessen optischen Qualitäten man nur gratulieren kann (das sicherlich computergenerierte Druckbild unterscheidet sich vom traditionellen Stich nicht merkbar). Besonders interessant sind dann die Ausführungen zur Werkgeschichte, die mitunter den Umfang von kleineren Aufsätzen annehmen. Die ausführliche, oftmals aus mehreren Teilen bestehende Quellenbeschreibung (ggf. unter Berücksichtigung von Skizzen, Arbeitsmanuskripten oder Reinschriften sowie Kopistenarbeiten) ist vielleicht eher etwas für den Spezialisten, doch kann man hier – je nach Materialfülle – den Weg einer Komposition bis zur Drucklegung verfolgen. Bei den Nachweisen der Erstausgaben ergab sich allerdings ein Problem: Üblicher Weise werden hier die Titelseiten in diplomatischer Form (also unter Kennzeichnung des Zeilenfalls) dokumentiert. Regers Schaffen fällt aber nun in eine Zeit, in welcher der Vermarktungsaspekt eine immer wichtigere Rolle spielt – man trifft ebenso auf eine werbewirksame, künstlerisch anspruchsvolle Aufmachung mit recht origineller Verteilung der Angaben, wie auf nüchtern-informative Titeleien, in die oftmals Listen einbezogen sind; eine Beschreibung mit dem traditionellen Instrumentarium ist in beiden Varianten kaum mehr möglich. In solchen Fällen hat man die grafische Gliederung der Titelseite direkt übernommen und konnte deshalb auf einen unübersichtlichen Apparat von Hinweisen zur Position der Bestandteile verzichten (etwa bei der Wiedergabe des Sammeltitels der „Schlichten Weisen“, op. 76, auf S. 423) – eine Abbildung des Originals wäre natürlich noch besser gewesen.
Die inhaltliche Aufteilung der beiden Bände folgt Max Regers eigener Vorgehensweise: Zuerst werden die 146 mit Opuszahlen versehenen Werke vorgestellt, worauf im zweiten Band (mit S. 849 beginnend) zunächst die „Werke ohne Opuszahl“ folgen, die man sinnvoller Weise systematisch-chronologisch angeordnet hat. Es schließen sich unidentifizierbare Entwürfe und Skizzen, Pläne und Schülerarbeiten sowie von ihm herrührendes Unterrichtsmaterial an; hinzu kommen Lieder, für die zwar Regers Vater eine Harmoniumbegleitung angefertigt hatte, die aber mit dem Vermerk „vom Componisten übertragen“ veröffentlicht worden sind. Schließlich wird noch Regers umfangreiche Tätigkeit als Bearbeiter und Herausgeber von Werken anderer Komponisten dokumentiert; seine Schriften (darunter eine Modulationslehre), die sich vorwiegend aus Zeitschriftenbeiträgen und Rezensionen zusammensetzen, bilden den Abschluss. Dass alle notwendigen Übersichten (etwa nach den Besetzungen oder Entstehungsjahren geordnete Werklisten) und Register vorliegen, braucht fast nicht erwähnt zu werden – hier hat sich längst eine Tradition etabliert, die man kaum mehr ignorieren kann.
Zum Schluss bleibt nur die Klage über den aus qualitativen Gründen und wegen des Umfangs verständlichen, zugleich aber abschreckenden Ladenpreis (trotz Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft!) – Musikbibliotheken mit Etatproblemen (und wo gibt es die nicht!) werden die Hürde für diese Pflichtanschaffung nur schwer überwinden; der private Reger-Verehrer kann vom Erwerb hingegen nicht einmal träumen! Werkverzeichnisse gehören in der Musikgeschichte jedoch zu den zentralen Dokumentationen des kulturellen Erbes, und man fragt sich angesichts öffentlicher Geldverschwendung oder der zu Recht in Verruf geratenen Boni, ob der vergleichsweise bescheidene Druckkostenzuschuss wirklich nicht aufzubringen ist, damit ein erträglicherer Preis möglich wird! Vermutlich würde dafür schon das Monatsgehalt manches Managers oder Bankers ausreichen, dessen Eitelkeit und Ruhmsucht durch die Verewigung seines Namens als Spender so ein sinnvolles Ergebnis nach sich zöge.
Georg Günther
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 189 f