Die Welt der Bach-Kantaten / Hrsg. von Christoph Wolff u. Ton Koopman. – Sonderausg. - 3 Bände – Stuttgart [u.a.]: Metzler, und Kassel: Bärenreiter, 2006
ISBN 3-7618-2093-9 : € 49, 95 (kt. im Schuber)
Band 1: Johann Sebastian Bachs Kirchenkantaten: Von Arnstadt bis in die Köthener Zeit –238 S. : Ill., Notenbeisp.
Band 2: Johann Sebastian Bachs weltliche Kantaten – 240 S. : Ill., Notenbeisp.
Band 3: Johann Sebastian Bachs Leipziger Kirchenkantaten – 264 S. : Ill., Notenbeisp.
Schulze, Hans Joachim: Die Bach-Kantaten – Einführungen zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs –Leipzig: Evangelische Verlagsanst. u. Stuttgart: Carus, 2006. – 760 S.
ISBN 3-374-02390-8 u. 3-89948-073-2 : € 44,00 (geb.)
Lieber Freund,
Du hast mich in Deinem letzten Brief gefragt, welche der Neuerscheinungen, in denen Kantaten von Johann Sebastian Bach vorgestellt werden, ich Dir empfehlen könnte. Mir sind da zwei Publikationen aufgefallen: Zum einen gibt es „Die Welt der Bach-Kantaten“. Das ist ein dreibändiges Werk, in dem führende Musikwissenschaftler das Umfeld, im dem die Kantaten entstanden sind, erläutern. Dieses Trio ist von Christoph Wolff und Ton Koopman herausgegeben worden. Zum anderen ist das Buch von Hans Joachim Schulze „Die Bach-Kantaten – Einführung zu sämtlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs“ zu erwähnen. Ton Koopman ist Dirigent, Musikwissenschaftler …, aber das weißt Du ja selbst. Christoph Wolff ist seit 2002 Direktor Leipziger Bach-Archivs, sein Vorgänger war Hans Joachim Schulze. Beide geben seit 1975 das Bach-Jahrbuch heraus und haben das Bach-Compendium erarbeitet. Aber das hilft Dir nicht unbedingt weiter, also lass mich etwas weiter ausholen.
Die dreibändige Einführung, die als Ergänzung der Gesamteinspielung aller Bach-Kantaten durch Ton Koopman gedacht ist, beschäftigt sich im ersten Band mit allen Kantaten Bachs, die vor 1723 entstanden sind. Im zweiten Band geht es um die weltlichen Kantaten und im dritten um die Leipziger Kirchenkantaten. Alle drei Bände sollen „dem Leser Bachs geistige und künstlerische Welt näherbringen“. Zuerst wird derRahmen abgesteckt („Der Komponist in seiner Welt“), dabei stellt Wolff die Werke zunächst kursorisch vor. Dann wendet man sich den formgeschichtlichen Entwicklungen, den musikalischen, literarischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen ausführlich zu. Natürlich fehlen auch die liturgischen Besonderheiten der Kirchen, in denen Bach gewirkt hat, nicht. Im zweiten Teil („Die Werke und ihre Welt“) werden dann die Kantaten selbst untersucht. Und zwar nicht jedes Werk einzeln, sondern gleichbleibende Teile der Kantaten werden miteinander hinsichtlich der Ausarbeitung von Sinfonien, Rezitativen, Arien, Choräle verglichen. Diese Übersichtsaufsätze stammen u. a. von Martin Petzoldt (Liturgie, theologische Aspekte), Hans Joachim Schulze (Textdichter, Parodien, Aufführungsbedingungen), Daniel R. Melamed, Peter Wollny (Formgeschichte), Ulrich Leisinger (Wort-Ton-Verhältnis). Am Ende äußert sich TonKoopman zu Fragen der Aufführungspraxis. In jedem Band findet sich ein Literaturverzeichnis zum behandelten Themenbereiche. Es folgt ein mehrteiliger Index der betrachteten Kantaten, der anderen im Buch erwähnten Werke Bachs und ein Namensregister. Querverweise zu den Informationen in den anderen Bänden fehlen.
Hans Joachims Schulze geht für seine Einführung von der Textgestalt der Kantaten aus, die für ihn das musikalische Erscheinungsbild bestimmt. Daher wird jede Kantate einzeln besprochen. Seine Einführung geht auf eine Sendereihe des Mitteldeutschen Rundfunks zurück, was die Reduktion auf das Wesentliche erklärt. Die Kantaten werden dem Lauf des Kirchenjahres entsprechend angeordnet, danach die Kirchenstücke für besondere Anlässe, Oratorien und die weltlichen Kantaten. Es werden sowohl die BWV-Nummer angegeben als auch die Nummern des Bach-Compendiums, die Letzteren werden in den Registern verwendet. Im Anhang finden sich die sparsam eingesetzten Anmerkungen, ein Literaturverzeichnis, ein Namensregister, das alphabetische Verzeichnis der Kantatentitel und eine Konkordanz, die die BWV-Nummern dem Bach-Compendium zuordnet.
Ich höre Dich förmlich fragen, welches der Bücher ich nun für geeigneter halte. Nun, das hängt davon ab, was Du wissen willst. Kommt es Dir darauf an, Dich über das Umfeld der Kantaten zu informieren, welche Schwierigkeiten Bach beispielsweise bei der Rekrutierung seine Musiker hatte oder welche Vorbilder es für seine Kompositionenes geben könnte, dann bist Du beim Dreierpack von Wolff und Koopman besser aufgehoben. Du wirst in den Anmerkungen und Literaturangaben viele Anregungen finden, selbst weiter zu suchen, detaillierte formale oder harmonische Analysen einzelner Kantaten aber nicht. Natürlich birgt die Bearbeitung verwandter Themen durch mehrere Autoren das Risiko von Wiederholungen und widersprüchlichen Aussagen. So werden z. B. im zweiten Band für die Gründung des „Großen Concerts“, dem Vorläufer des Leipziger Gewandhauses, unterschiedliche Daten angegeben. Und willst Du gezielt nach einer bestimmten Kantate suchen, musst Du genau wissen, aus welcher Schaffensperiode sie stammt, welchen Titel sie hat und wo ihre Sätze analysiert werden. Wenn Du auf diese Weise suchst, bist Du mit der übersichtlichen Einführung von Schulze besser bedient, denn er bespricht jede Kantate separat. Du brauchst weder Klavierauszug noch Bibel oder Gesangbuch, um Texte nachzulesen, denn die werden vollständig zitiert. Du bekommst einen genauen Überblick über die Entstehung der Kantate, den Text und seinen Verfasser, es gibt eine knappe, durchweg gründliche Beschreibung der Kantatensätze, die immer die Impulse darstellt, die Bach vom Text auf die Musik übergehen lässt. Du kannst Dich damit bestens auf ein Konzert vorbereiten, Deine Freundin mit Deinem Wissen beeindrucken oder den Angaben eines unzureichenden Booklets aufhelfen. Ich empfehle Dir, beide Ausgaben zu kaufen. Aber nun zu Deiner Lektüre ….
Marianne Noeske
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 286ff.