Reiseberichte von Musikerinnen des 19. Jahrhunderts: Quellentexte, Biographien, Kommentare / Hrsg. von Freia Hoffmann. – Hildesheim: Olms, 2011. – 321 S.: 15 Abb.
ISBN 978-3-487-14437-5 : € 28,80 (kart.)
Dass es für alleinreisende Frauen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein lebensgefährlich war, sich ins Ausland zu wagen, belegt beispielsweise das Schicksal der holländischen Entdeckungsreisenden Alexandrine Tinné, die 1870 in Nordafrika unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Zugegeben: Tinné war reich und reiste zum Vergnügen, während die meisten der im vorliegenden Band vorgestellten Frauen aus schierer beruflicher Notwendigkeit, zum Konzertieren, zur musikalischen Weiterbildung oder zur künstlerischen Vervollkommnung ausgedehnte Reisen unternahmen. Und doch: Oft war es Abenteuerlust, eine gesunde Neugier auf andere Kulturen und vor allem erstarkendes weibliches Selbstbewusstsein, das Sängerinnen und Instrumentalistinnen veranlasste, sich Postkutschen, russischen Eisenbahnen, Kamelen oder wenig hochseetauglichen Dampfschiffen anzuvertrauen. Natürlich finden sich Niederschriften bekannterer Zeitgenossinnen wie Lili Lehmann, Fanny Hensel oder Ethel Smyth (deren scharfsinnige, bisweilen beißend ironischen Beobachtungen höchst amüsant zu lesen sind), die uns an ihren Eindrücken teilhaben lassen und deren Äußerungen in gewissem Sinne ihrer musikgeschichtlichen Bedeutung Rechnung tragen. Es sind aber vor allem die Reisetagebücher, Briefe und Erinnerungen weniger bekannter Interpretinnen wie Fanny Hünerwadel (Klavier), Therese aus dem Winckel (Harfe), Lise Cristiani (Violoncello) oder Marie Stütz (Violine), die äußerst authentisch, bisweilen resignativ, vor allem aber sehr detailgetreu von Reisezielen wie Paris, London, Saigon, Konstantinopel, Singapur oder Ägypten erzählen. Exemplarisch hierfür sei die Liszt-Schülerin Martha Remmert (1853–1947) erwähnt. Sie lässt in ihren Erinnerungsblättern ihre Konzertreisen Revue passieren, die sie unter anderem durch das Baltikum, nach Finnland und Russland führten. Erpresserische Zollbeamte, schikanöse Passkontrollen, Begegnungen mit Wolfsrudeln bei winterlichen Kutschfahrten im nächtlichen Russland machen die Lektüre ebenso spannend wir informativ. Interessant ist zum Beispiel auch die Zusammenarbeit der Pianistin mit der Firma Blüthner, die an allen Konzertorten den Flügel stellte – eine frühe Form des Merchandising, die hier ausführlich beschrieben wird. Und immer wieder wirft die Autorin reflektierende Blicke auf die kulturellen Bedingungen, das Publikum vor Ort, das Konzertmanagement, die Zustände von Konzertsälen, auf finanzielle Rahmenbedingungen usw. Die Texte sind allesamt sehr sorgfältig ediert, liegen teilweise originalsprachlich und übersetzt vor, die Biografien und Kommentare der AutorInnen um die Herausgeberin Freia Hoffmann (ein sehr gelungenes Vorwort!) sind kenntnisreich und akribisch zusammengestellt und vermitteln ein vielschichtiges Bild der Bedingungen „weiblichen“ Musizierens. Ein wunderbares (Lese-) Buch!
Claudia Niebel
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 67f.