Schlüter, Wolfgang: Die englischen Schwestern. – Frankfurt/Main: Eichborn, 2011. – 408 S.
ISBN 978-3-8218-5843-2 : € 21.95 (geb.)
Mit diesem Werk will der Autor laut Verlag eine musikalische Prosa-Tetralogie abschließen, die er mit John Field begonnen, bei Dufay fortgesetzt, dann über die Pariser Barockopern-Inszenierung geführt hat und nun bei Benjamin Franklin (1706–1790), dem Erfinder der Glasharmonika, enden lassen wolle. Das wäre schade, Schlüter-Leser erwarten mindestens eine Nonologie – auch wenn in diesem vorläufig letzten Roman bereits eine Dodekalogie versteckt ist. Denn er ist in zwölf Töne-Kapitel unterteilt, streng der Anweisung Mr. Franklins folgend, dass bei den Glasröhren der Harmonika die diatonischen Stufen in Regenbogenfarben erscheinen sollen und die chromatischen in weiß. Wie viele schöne Kapitel und damit historische Verschachtelungen und lokale Einfaltungen von Geheimnissen hätte es noch gegeben, hätte Schlüter auch die möglichen enharmonischen Verwechslungen berücksichtigt!
Schlüter hätte es sich einfacher machen können. Die Nichterwähnung der von ihm erfundenen Glasharmonika in der Autobiografie des nordamerikanischen Tugendbolds, Diplomaten und naturwissenschaftlichen Hobby-Experimentators Franklin (er hatte es mit den Glasröhren, mit denen es ihm auch gelang, Blitze zu imitieren und schließlich den Blitzableiter zu erfinden) lechzte schon lange danach, von einem findigen literarischen Imitator ergänzt zu werden. Aber es wäre der überschießenden Phantasie eines Schlüter zu seicht vorgekommen, nur dieses ungeschriebene Kapitel im Stil Franklins nachzuäffen. Trotzdem finden wir es natürlich fingiert und gut verpackt in diesem Roman, als letzte Puppe in der Puppe versteckt, allerdings mehr im barock-fantastischen Stil eines Laurence Sterne denn des spröde-charmanten eines Franklin.
Freilich muss erst einmal das blinde Fräulein Kirchgeßner auftreten, um von seiner Exekution von Köchel 617 zu erzählen, jenen zwei Quintettsätzen Mozarts für Glasharmonika und mehrere Instrumente. Und Franklins Aufzeichnungen (hatte er nicht selber in seinem Konzept für die Fortsetzungen der Autobiographie etwas geschrieben von „Öfen und Schornsteinklappen. Harmonika. Bekanntschaft mit Botschaftern“?) müssen sich im Skizzenbuch eines gewissen Johann Peter Hofmeister verstecken, um nur die wichtigsten, gut geölten Scharniere von Schlüters Kammertüren zu nennen. Nur so können Schlüters Fabulierlust, Rabulistik, Wort-Fallenstellerei, Sprachspielwitz und sein Gespür für musikalische Sensationen auf ihre Rechnung kommen. Das kann man nicht andeutungsweise und spielverderberisch vorerzählen, das kann man nur empfehlen zu lesen und: lesen zu lassen, d. h. einzustellen in die deutschen Musikbibliotheken! Und da, wo es noch nicht geschehen ist: gleich alle viere von Schlüter!
Nur ein Einwand doch, weil da am Anfang und wieder am Schluss des Romans so fülle balienat wird: Der geschätzte Autor kennt den Baliena Datief nich richtich: Es muss doch beispielsweise heeßen: „N paa von dem seine [ohne n!] Schrüppen ha’ick heut noch unter meene Schtereo-Boxen schtehn“ (S. 17).
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 65f.