Hanns Eisler: Briefe 1907–1943 / Hrsg. von Jürgen Schebera und Maren Köster

Hanns Eisler: Briefe 1907–1943 / Hrsg. von Jürgen Schebera und Maren Köster. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2010. – 532 S.: Notenbsp./Faks. (Hanns Eisler Gesamtausgabe ; Serie IX, Schriften, Bd. 4,1)
ISBN 978-3-7651-0348-3 : € 39,80 (geb.)

Dieser erste Band der Briefe Hanns Eislers (1898–1962) im Rahmen der neuen Gesamtausgabe (HEGA) seiner Kompositionen und Schriften lässt einen sehr gespannt auf die hoffentlich nicht ins Stocken geratenden Fortsetzungsbände zurück und überrascht und überzeugt durch seinen Eigenwert, auch durch den angehängten Apparat. Er umfasst einen langen und wichtigen Zeitraum von 36 Jahren, während die weiteren drei Bände nur insgesamt 18 Jahren gewidmet sein werden, weil das überlieferte Briefmaterial sehr viel reicher ist. In die Zeit des ersten Bandes fallen Eislers Wiener Kindheits- und Jugendjahre, seine ersten Studien bei Schönberg und seine ersten Kompositionsversuche, seine politisch umtriebigen Berliner Jahre bis zur Machtübergabe an die Nazis und seine Pariser Zeit, sowie die ersten fünf Jahre seiner insgesamt 14-jährigen Exilzeit in den USA.
Man staunt über diesen sympathischen Menschen, der zu jeder Art von Selbstironie fähig ist und darüber hinaus ohne dogmatische Selbstbeschränkungen hilfsbereit und solidarisch sein konnte. Rührend, wie er sich bei Rudolf Kolisch für den Komponisten Arthur Schnabel einsetzt, der ja nun wirklich nicht modern komponierte. Auch das berühmte, aber eigentlich überflüssige und auch nicht endgültige Zerwürfnis mit seinem Lehrer und Freund Schönberg ist hier in seinen Briefen und (o Freude!) den Gegenbriefen Schönbergs (in den Anmerkungen) dokumentiert. Was Eisler für erlaubte Abweichungen während eines belanglosen Eisenbahngesprächs mit Zemlinsky von Prag nach Wien hielt, musste Schönberg wie Gegnerschaft und Verrat vorkommen. Eisler, der auch gerne mit Reihen aus zwölf Tönen experimentierte, aber auch immer wieder mal daran zu zweifeln sich erlaubte, ob man denn damit für alles und jedes, für immer und ewig gute Musik machen könne, stieß in Berlin auf einen Schönberg, der noch das Ei des Kolumbus der musikalischen Zukunft glaubte gefunden zu haben. In der nicht zu verachtenden, zumindest auf künstlerischem Sektor liberalen Atmosphäre der USA ging es beiden wieder besser.
Man staunt über die Fülle der Kammermusik-Kompositionen, die Eisler in den USA schrieb, man staunt über seine lässige Haltung in Sachen seines eigenen geistigen Eigentums, man staunt über den Witz angesichts von finanziellen und seelischen Katastrophen. Man ist gerührt von der angespannten Liebe zu seiner Schwester Ruth Fischer und zu seiner Frau Louise. Man ist gerührt von der Freundschaft zu Joachim und Sylvia Schumacher (man verkehrt in Noten, der Rest stünde ja in den Zeitungen). Man erfährt Neues über die weiterhin unklare Entstehungsgeschichte des 1947 in Amerika erschienenen Filmmusik-Buches, man staunt über die überall gleiche Sprache der Geheimdienste (der FBI über das „Subjekt Eisler“) und man ahnt: hätte Eisler seine Briefe nicht bei Feuchtwanger deponiert, McCarthy hätte uns später aushelfen können sie aufzufinden.

Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 64f.

 

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