Uecker, Gerd: Traumberuf Opernsänger. Von der Ausbildung zum Engagement. – Berlin: Henschel, 2012. – 176 S.
ISBN 978-3-89487-675-3 : € 16,90(kt.)
Stellte man Luciano Pavarotti oder Margaret Price in das Szenario, das das vorliegendes Buch umreißt, man müsste sich ernsthaft Sorgen machen, ob sie – bei aller stimmlichen Qualität – noch eine reelle Chance hätten, einen Agenten von ihrer Eignung für die Opernbühne zu überzeugen. Unsere durch Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann geprägte Wahrnehmung des idealen Opernsängers steht als Synonym für die heutzutage jungen Künstlern – zumal den auf dem Opernpodium agierenden – in jeder Hinsicht abverlangte Perfektion. Der Autor des Buches vermutet, gestützt auf Statistiken und eigene jahrzehntelange Erfahrung, hier zurecht als Ursache unsere schöne Medienwelt, die immer häufiger und schneller nach neuen Superlativen und Talenten giert. Die Adjektive, die sich in gesteigerter Form auf alle Aspekte einer Sängercharakteristik (Stimme, Aussehen, Bühnenpräsenz, Musikalität, schauspielerische Intelligenz usw.) anwenden lassen, sind austauschbar und heißen hier: schlank, jung und schön, attraktiv, erotisch, strahlend. Dieser Trend steht im krassen Gegensatz zum Phänomen der Stimme, die zur Entfaltung und Entwicklung, zur Ausbildung ihrer Individualität vor allem zweierlei braucht: nämlich Zeit und Geduld.
Dass der Beruf des Sängers, zumal desjenigen auf den Opernbühnen dieser Welt, ein dementsprechend harter ist, wird der Zielgruppe dieses Buches immer wieder neu vor Augen geführt. Knapp, präzise und sehr verantwortungsbewusst versammelt der Autor alle notwendigen Informationen rund um das Berufsbild des Opernsängers, wobei er progressiv vorgehend alle Fassetten abdeckt von der Entscheidung für diesen Beruf bis hin zu den rechtlichen und gesundheitlichen Aspekten dieses Themenfeldes. Nachdem Uecker das Berufsbild kurz darlegt, widmet er sich den physiologischen, musikalischen, psychischen, künstlerischen und intellektuellen Voraussetzungen des Berufes und den möglichen Ausbildungswegen (Lehrerwahl, Aufnahmeprüfung, Studium) sowie Stimmgattungen- und -fächern. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit allen Aspekten des künstlerischen Wettbewerbs (Vorsingen bei Bühnen und/oder Agenten, Gesangswettbewerbe), Fragen der Kleidung, des Lampenfiebers und – als Exkurs – mit dem Scheitern und Auswegen aus der Einsicht, doch kein Solist zu sein. Für eine neue Auflage wäre hier mein Wunsch nach mehr Ausführlichkeit, denn den vielen Tausend Gesangsstudenten an deutschen Musikhochschulen standen 2008 weniger als 3.000 OpernsängerInnen gegenüber: welche Wege gehen alle diejenigen, die es nicht schaffen?
Das umfangreichste Kapitel beschreibt den sängerischen Alltag, der sich im Wesentlichen aus dem Studium der Partien, den Proben und – im Idealfall – der geglückten Aufführung zusammensetzt. Wertvolle Anleitungen zu Arbeitsdisziplin und klugem Selbstmanagement fehlen ebensowenig wie Ratschläge zum Umgang mit Kritik, Indisposition oder Spannungen im Ensemble. Gerd Uecker ist aufgrund seines persönlichen Werdeganges der ideale Autor, kennt er doch den Opernbetrieb aus jahrzehntelanger eigener Erfahrung in unterschiedlichen Handlungsfeldern: als Solorepetitor, Musikdirektor, Intendant oder künstlerischer Leiter vieler Häuser. Als Lehrender bei Meisterkursen und an mehreren Hochschulen ist ihm die Perspektive aus pädagogischer Sicht und als Funktionär in diversen Gremien auch der administrative Alltag vertraut. Mit ausführlichem Anhang – ein echtes Desiderat!
Claudia Niebel
Stuttgart, 08.03.2012