Schulz, Stephan: What a wonderful world. Als Louis Armstrong durch den Osten tourte. – Berlin: Neues Leben, 2010. – 255 S.: zahlr. Ill.
ISBN 978-3-355-01772-5 : € 14,95 (geb.)
Nachdem 1988 sein Taufeintrag bekannt wurde, steht fest, dass Louis Armstrong entgegen seinen eigenen Angaben nicht am 4. August 1900, sondern erst 1901 geboren wurde. Den verzeihlichen Schwindel erfand der spaßige Jazztrompeter, damit er vorzeitig seine Volljährigkeitsbescheinigung bekommen konnte. Dadurch gibt es 2011 einen kleinen, aber feinen runden Geburtstag in der Jazzwelt. Der Autor und MDR-Rundfunkjournalist Stephan Schulz erhielt kürzlich für dieses bereits vor einigen Monaten erschienene Buch mit dem Swinging Hamburg Jazz Award einen Preis, der für Verdienste zur Förderung des traditionellen Jazz vergeben wird.
Louis Armstrong (1901–1971) gastierte im März 1965 in Osteuropa, darunter außer in der DDR auch in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien. Der Bericht bezieht sich auf die Konzerte in der DDR, in der es der Jazz bis zum Anfang der 1960er Jahre schwer hatte, weil er von den Parteiideologen als „imperialistische Affenkultur” geschmäht wurde. Der immer lachende Satchmo („Satchelmouth“), seine All Stars und die bezaubernde Sängerin Jewel Brown wurden hinter dem Eisernen Vorhang als „Sendboten des guten Amerika“ empfangen. Noch ca. sechs Jahre später musste der DDR-Jazzjournalist Karlheinz Drechsel den misstrauischen Parteibonzen in Dresden trickreich erklären, dass es sich bei dieser Musik aus Amerika um ein „Mittelding zwischen Blasmusik und FDJ-Singebewegung“ handelt, damit sie die Genehmigung für das erste „Internationale Dixieland Festival“ in Dresden erteilen.
Die Galionsfigur des Jazz tourte schon früher durch Europa, zuerst in den Jahren 1932 bis 1934 und 1948. Obwohl der Bericht chronologisch verläuft, erfordert der Reiseablauf schon ein genaues Studium, weil die Auftritte in der DDR in zwei Etappen erfolgten. Nach seiner Ankunft am 10.03.1965 in Dänemark reiste er am gleichen Tag nach Prag weiter und gab dort die Auftakt-Konzerte vom 12.–18.03. in der Lucerna-Halle. Denen folgten in zwei Teilen die fünf Stationen in der DDR mit Berlin und Leipzig vom 20.–24.03. sowie nach einem Abstecher erneut Berlin und danach Magdeburg, Erfurt und Schwerin vom 05.–08.04., ehe er am 09.04.1965 nach Hause flog. In der DDR waren insgesamt 18 Konzerte meistens als Doppelkonzerte geplant, von denen 17 unter großem Jubel stattfanden. Eines in Schwerin wurde wegen unerklärlicherweise zu wenig verkaufter Karten abgesagt. Dazwischen gastierte Armstrong in Frankfurt/Main in der ZDF-Show Der goldene Schuss und komplettierte die Osteuropatournee mit Gastspielen in Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien. Wegen einer Autobuspanne erlebten sogar zahlreiche verdutzte Bürger im anhaltinischen Genthin einen unvergesslichen Auftritt in der Eckkneipe Grüne Kachel, zwar ohne Bockwurst (weil ausverkauft), aber mit einem Bier statt mit der Trompete.
Einleitend wird der Leser über das Zustandekommen der Tournee auf Initiative leitender Mitarbeiter der damaligen Deutschen Künstleragentur GmbH informiert. Um mit Satchmo einen westlichen Star für Auftritte in den sozialistischen Ländern zu verpflichten, wurde ein Deal mit einem Schweizer Mittelsmann eingefädelt, denn die Zahlung des Honorars konnte nicht in wertloser DDR-Mark erfolgen, sondern musste in hochwertige Waren oder harte Währung „umgerubelt“ werden.
Steckbriefe zu den beteiligten Musikern sowie Daten und Fakten der Auftrittsorte lockern die chronologische Beschreibung der Tournee auf. Viele sehenswerte und kommentierte Schwarzweiß-Fotos von Akteuren und Originaldokumenten wecken lebhafte Erinnerungen. Natürlich gehören zum Bericht eines Journalisten Interviews und Zeitzeugenberichte, die sogar bis ins Reich der Legende reichen. Mit einer Kurzbiografie und einem Literaturverzeichnis werden Informationen über den eigentlichen Buchtitel hinaus zur Verfügung gestellt und eignen sich zum schnellen Nachschlagen.
Der Besitz des Hardcover-Bandes kann mit der Anschaffung der Mitschnitte des Friedrichstadtpalast-Konzertes vom 22.03.1965 ergänzt werden, die es auf zwei CDs unter dem Titel Satchmo Live in Berlin gibt.
Stefan Domes
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 77ff.