Prokop, Clemens: Mozart der Spieler. Die Geschichte eines schnellen Lebens. – Kassel [u.a.]: Bärenreiter, 2005. – 152 S.: zahlr. Ill.
ISBN 3-7618-1816-5 : € 12,95 (brosch.)
Kein Mozart-Jubiläum, und sei es der 250. Geburtstag, ohne erneute Deutungsversuche oder Belletristisches zu Leben und Mythos des Salzburger Genius. Mozart – ein Fass ohne Boden, schier unerschöpfliche Quelle für ewige Spekulation und Dechiffrierung. Doch vermag die Neuveröffentlichung eines dünnleibigen Paperbacks, untertitelt mit „Geschichte eines schnellen Lebens“ und obendrein annonciert als „Mozart für Eilige“, einen Leserkreis hinterm winterlichen Ofen hervorzulocken?
Sehr wohl. Doch nur dann, wenn eine originelle Spezifizierung den Appetit auf eine unkonventionelle Mozart-Perspektive stimuliert und ein raffinierter Schreibstil neben attraktivem Layout auf Anhieb gefangennimmt. Ein solcher Glücksgriff gelang nun Clemens Prokop unter dem Titel Mozart der Spieler. Mit diesem vieldeutigen Attribut ist sogleich jener Komplex des Mehrbödigen angeschlagen, den die historisch-kritische Mozart-Forschung gegen den sprichwörtlichen Ballast aller jahrhundertealten Legenden und Anekdoten ins Feld führt – wenngleich viele Rätsel ungelöst bleiben. Prokop komprimiert gleich zu Beginn die entmystifizierenden Befunde um Mozarts Tod und Begräbnis, erkennt im Fall des „Requiems“ nur das typische Beispiel für ein grundsätzliches Problem: „Mozart täuscht alle, die ihn zu kennen glauben. Er trägt alle Widersprüche in sich. (…) Er war eine Art Chamäleon, das sein Aussehen nur wechseln kann, weil es längst alle Farben in sich trägt.“ (S. 16) Der anschließende Kapitelreigen deckt sich in traditioneller Manier mit den primär lokal definierten Stationen (Salzburg, Reisen, Wien) der Mozart-Vita. Aber außerhalb des Traditionellen steht Prokops Präsentationsform, die man neudeutsch in der Sparte musikologisches Infotainment – quasi einem modernen „prodesse et delectare“ – ansiedeln könnte. Mit leichter Hand und spitzer Feder verquickt Prokop die reine Lebensbeschreibung mit zahlreichen Aspekten der philologischen, kultursoziologischen, psychologischen Musikforschung zur kompakten Lightversion einer wissenschaftlich aktuellen und stichhaltigen Mozart-Monographie. Gattungsgeschichtliches bei Lehrern und Vorbildern wie Vater Leopold, Johann Christian Bach oder Haydn wie auch in Wolfgangs stilistischen Entwicklungsstufen (Klavierkonzerte, Opern, Symphonien), Formanalytisches, Ästhetisches (Wort-Ton-Verhältnis), ideologische Prägungen (christliches Weltbild, Aufklärung, Freimaurertum), Editorisches (Requiem-Vollendungen, Ulrich Konrads neues Systematisches Werkverzeichnis), Exegetisches (Seitenhiebe oder Zuspruch in Richtung Alfred Einstein, Hildesheimer & Co.) – all dies erhält seine eigene Pointierung, wie gleichermaßen den vielsagenden Originalquellen Raum gewährt wird: vor allem dem Briefkontakt mit dem Vater, nicht zuletzt den sämtlichen Mozart-Vergöttlichungen Hohn sprechenden Bäsle-Briefen. Knapp und prägnant, wortgewandt und metaphernreich, ja punktuell burschikos-salopp bis liebevoll-flapsig färbt Prokop die Aura der musealen Mozart-Ära mit dem Zeitgefühl des globalisierten 21. Jahrhunderts ein. So amüsiert ein charmanter Witz, streifen Anglizismen und Slangvokabeln die Grenze zum anachronistischen Stilbruch, wenn etwa von Mozart als „Ghostwriter“ oder „Teenager“ oder von seinem Wiener „Chrashkurs“ in Lebensplanung die Rede ist. Am Puls der heutigen Zeit agiert Prokop daneben keineswegs allein mit der Euro-Umrechnung von Geldbeträgen. Brisanteren Diskussionsstoff liefert seine Schlussbetrachtung zur „Suche nach dem rechten Mozart-Ton“ mit Interpretationsvergleichen zwischen den Lagern Jochum – Karajan vs. Harnoncourt – Jacobs und Anregungen zu musikalisch wie szenisch stimmigen Operninszenierungen.
Und was das handliche Vademekum als optimale Einstiegslektüre oder vergnügliches Repetitorium empfiehlt, verdankt sich insbesondere drei visuellen, mnemotechnisch bewährten Gestaltungselementen: eingeschobenen Exkursen (z. B.: „Leopold Mozarts Violinschule“, „Die Erfindung der Klassik“, „Mozarts Schulden“) in farbig grundierten Rechtecken, der Hervorhebung zentraler Begriffe durch hellblauen Fettdruck sowie rund 55 meist farbigen Illustrationen.
Andreas Vollberg
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 428f.