Konrad, Ulrich: Mozart-Werkverzeichnis. Kompositionen, Fragmente, Skizzen, Bearbeitungen, Abschriften, Texte. – Kassel [u.a.]: Bärenreiter, 2005. – 251 S.
ISBN 3-7618-1847-5 : € 19,95 / SFr 35,90 (Pb.)
„Was kann ein … Werkverzeichnis seinen so völlig unterschiedlichen Interessenten – Musikern und Musikliebhabern, Musikwissenschaftlern, Bibliothekaren und Archivaren, Sammlern, Antiquariaten und Auktionshäusern, Musikkritikern und Dramaturgen –tatsächlich bieten?“ fragt Margret McCorkle im Vorwort ihres Schumann-Verzeichnisses (S. 12*). Und ihre Antwort lautet: „Nichts weniger als einen Rundgang durch die Werkstatt eines Komponisten, eine Ahnung davon, wie kreative Prozesse ablaufen… on der ersten Idee bis zum vollständigen Werk, ….
Für Wissenschaftler, Bibliotheken, Privatsammler und den Musikhandel ist ein Werkverzeichnis das wichtigste Nachschlagewerk zum Schaffen eines Komponisten, vor allem, wenn es um die grundlegenden bibliographischen Angaben zu den Originalhandschriften und Erstausgaben geht.
Es kann Ausgangspunkt für weitere Forschungen sein, aber auch optimaler Konzertbegleiter für Musiker und Musikliebhaber (S. 12*). Ulrich Konrads Werkverzeichnis ist nicht der Ausgangspunkt, sondern das (Zwischen-)Ergebnis seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Wolfgang Amadeus Mozart und seiner Schaffensweise. 143 Jahre ist es her, seit Ludwig Ritter von Köchel im Jahr 1862 sein „Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amade [!] Mozarts“ herausgab, das insgesamt 626 Werke Mozarts enthält.
Bei der Suche nach dem Köchelverzeichnis stößt man in Bibliothekskatalogen auf ein Wirrwarr von unterschiedlich gezählten Auflagen, Ausgaben, Nachdrucken, etc. Deshalb hier eine kleine Nachhilfestunde: Mit der 3. Auflage von Alfred Einstein aus dem Jahr 1937 wurden die Nummern etlicher Werke geändert; die neuen Nummern enthalten oft einen zusätzlichen Kleinbuchstaben (z.B. Sinfonia concertante für Violine und Viola Es-dur, ursprünglich KV 364, jetzt KV 320d). Besonders viele Umstellungen brachte die 6. Auflage 1964 von Franz Giegling, Gerd Sievers und Alexander Weinmann. Diese Änderungen trugen neuen Erkenntnissen über die Chronologie der Werkentstehung Rechnung. Außerhalb der Wissenschaft haben sich diese Änderungen nicht konsequent durchgesetzt: Notenverlage, Konzertveranstalter, Autoren populärer Handbücher und Tonträgerindustrie verwenden nach wie vor Köchels ursprüngliche Nummern.
Die letzte veränderte Auflage ist die 6. von 1964, die 7. und die 8. Auflage, letztere aus dem Jahr 1988, sind unveränderte Nachdrucke der 6., KV6. In 50 Jahren hat sich viel getan. Ulrich Konrads Werkverzeichnis erschließt den heute bekannten Bestand in systematischer Weise. Dabei will er weder die letzte revidierte Ausgabe von 1964 ersetzen, noch einer fälligen grundlegenden Revision dieses inzwischen in vielen Angaben überholten Werkkataloges vorgreifen. „Hauptziel des Mozart-Werkverzeichnisses ist es vielmehr, dem Benutzer eine Hilfe zur Orientierung im OEeuvre des Komponisten sowie in den bibliographischen und historischen Primärdaten anzubieten, wie sie nach aktuellem Wissensstand möglich ist.“ (S. 9)
Konrad hat sein Werkverzeichnis im Gegensatz zu Köchels chronologisch-thematischem systematisch nach Gattungen und Sachgruppen angelegt. In übersichtlicher Tabellenform auf Doppelseiten bietet es Wissenschaftlern und Musikern Informationen zu den Aspekten:
• Numerierung nach den verschiedenen Auflagen des Köchel-Verzeichnisses
• Tonart
• Besetzung
• Datierung
• Alte Mozart-Ausgabe
• Neue Mozart-Ausgabe (NMA)
• NMA-Einzelausgaben
• KV-Register
• Weitere Anmerkungen in Stichworten zu Beinamen, Entstehung, musikalischen Zusammenhängen zu anderen Werken etc.
Die Rubrik „Einzelausgaben“ verschafft jedem, der Mozart spielen möchte, einen schnellen Zugang zu allen praktischen Ausgaben, die auf dem Notentext der „Neuen Mozart-Ausgabe“ basieren: Partitur und Studienpartitur, Chorpartitur, Klavierauszug, Aufführungs- und Leihmaterial.
Die Angabe beider Gesamtausgaben und der Taschenbuchausgabe der NMA (1991) ermöglicht ein bequemes Arbeiten auch in Bibliotheken. Diverse ausführliche Register erschließen den Inhalt in nahezu allen Einzelheiten. Das Werkverzeichnis ist identisch mit dem in Konrads gleichzeitig erschienener Monographie Wolfgang Amadé Mozart: Leben-Musik-Werkbestand (Rez. s.o.)enthaltenen, was der Verlag bei der Bewerbung der beiden Publikationen diskret verschweigt. Wie man aus wohlunterrichteten Kreisen hörte, soll das Werkverzeichnis demnächst ins Englische übertragen werden (was auch immer man von einem Werkverzeichnis dieser Art in eine andere Sprache übersetzen mag- wer sich mit Mozart beschäftigt, wird nicht umhinkommen, ein paar Worte Deutsch zu lernen!). Bleibt für die Rezentin nur die Frage offen, wie man das neue Werkverzeichnis künftig zitieren soll, „KV“ ist schließlich schon vergeben- und dann wie Leopold von Köchel in seinem Vorwort mit Horaz zu sprechen: „Si quid novisti rectius istis, candidus imperti; si nil, his utere cum eo [i.e. auctore].“
Jutta Lambrecht
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 422ff.