Ernsting, Stefan: Der rote Elvis. Dean Reed oder Das kuriose Leben eines US -Rockstars in der DDR. – Berlin: Gustav Kiepenheuer, 2004. – 314 S.: 34 SW-Fotos
ISBN : 3-378 -01073-8 : € 22,00 (geb.)
Seit rund fünfzehn Jahren wächst zusammen, was zusammengehören soll. In den Jahrzehnten davor ging durch Deutschland eine Mauer, die zwar von einer Seite errichtet, deren Fundament als Ausdruck gegensätzlicher Überzeugungen aber auch von der anderen Seite gefestigt wurde. Seitdem die Grenze in faktischer und ideologischer Hinsicht existierte, gab es Menschen, die sich auf den Weg machten, diese zu überqueren. Die vorherrschende Stoßrichtung war westwärts, doch gab es auch Ausnahmen, deren Reiseziel im Land hinter dem Eisernen Vorhang lag. Von einem, der auszog, seine Träume im Osten zu suchen, handelt die Biografie von Stefan Ernsting.
Dean Reed, oder der „rote Elvis”, wie er vom Autor genannt wird, ist eine Ausnahmeerscheinung. Geboren 1938 in Denver, Colorado, am Fuß der Rocky Mountains, wuchs Reed in einer Umgebung auf, die als Prototyp für eine gleichermaßen traditionsbewusste und engstirnige US-Provinz galt, aber auch als Blaupause für den Mythos des mittleren Westens, in dem raubeinige Abenteurer auf den Rücken ihrer Pferde die Prärie durchstreiften. Nach einer eher unspektakulären Jugend, die noch nicht von rebellischen Posen und Inhalten geprägt war, zog Reed Ende der 1950er Jahre nach Kalifornien, um seinen amerikanischen Traum mit einer Musikerkarriere zu verwirklichen. Hier lernte er sozialistische und marxistische Theorien kennen, für die er sich schnell begeisterte. Nach einigen durchschnittlich erfolgreichen Singles in den Vereinigten Staaten begann sein Stern in Südamerika zu steigen, und Reed ging auf ausgedehnte Tourneen durch Chile, Brasilien, Argentinien und Peru. Seine politische Einstellung festigte sich hier durch die Erfahrung, dass die Früchte des gelobten Landes USA in Südamerika weitaus bitterer schmeckten.
Dean Reed engagierte sich für die regionale politische Musikkultur, etwa für das chilenische Nueva Canción, wurde aber auch seit der Weltfriedenskonferenz 1965 Teil einer internationalen Friedensbewegung. Gleichzeitig verfolgte er auch eine Filmkarriere, die im klassischen Unterhaltungsgenre angesiedelt war. Zugute kam ihm dabei die Beliebtheit der Italo-Western, in denen er einige Auftritte verbuchen konnte. Galt Reed in den 1960er Jahren als Weltbürger, so suchte er Anfang der 1970er Jahre eine neue, kleinere Heimat, die er schließlich in der DDR fand. Hier wurde er von den Medien als berühmter US -Star gefeiert, der trotz seiner immensen Erfolge im Westen ein Leben auf der gerechten Seite vorzog. Fast ein ganzes Jahrzehnt lang konnte Reed von diesen Lorbeeren recht gut leben. In den 1980er Jahren jedoch wurde auch dieser Glanz immer matter, und die Erfolgsstory fand 1986 ein endgültiges Ende, als Reed unter nie geklärten Umständen in einem See ertrank.
Ein aufregendes Leben wird hier geschildert, und es ist dem Autor Stefan Ernsting in beeindruckender Weise gelungen, die Gestalt des singenden Cowboys von zahlreichen Mythen zu befreien. Der 1969 geborene Ernsting, der laut Verlagsangaben Kaffee, Zigaretten und abgebrochene Bleistifte zum Schreiben benötigt (dabei jedoch, seinen eigenen Mythos ironisierend, mit Kugelschreiber auf dem Umschlagsfoto posiert), musste dabei nicht nur den teilweise von Reed selbst gestreuten Gerüchten auf den Grund gehen, sondern auch die dürftige Faktenlage zu einzelnen Lebensabschnitten ausgleichen. So ist aus Reeds Kindheit außer ein paar biografischen Notizen nicht viel bekannt. Der Autor aber kleidet diese spärlichen Informationen in kultur- und gesellschaftshistorische Fakten aus den Vereinigten Staaten der 1950er Jahre. Vereinzelt hätte man sich hier mehr Details gewünscht, doch schließlich war es nicht Ziel, die Geschichte der USA nachzuerzählen. Dieser nicht vorhandenen Zielrichtung ist es auch geschuldet, dass einige Aussagen chronologisch durcheinandergewirbelt werden. So stellt Ernsting fest, dass Reeds Vater während dessen Kinder- und Jugendzeit ein politischer Scharfmacher war, der das „Sergeant Pepper-Album der Beatles“ als „Teil einer kommu-nistischen Verschwörung“ (S. 24) empfand. Reeds Jugendjahre fallen jedoch in die 1950er Jahre, in eine Zeit also, als Lennon und McCartney höchstens mal auf Kirchenfesten Buddy-Holly-Hits nachspielten.
Ein zentrales Anliegen des Autors ist es, den von Reed selbst gefütterten Mythos des Seiten wechselnden US-Stars zu relativieren. Wie Ernsting faktengenau nachweist, ist Reeds Version einer Top-50-Platzierung (die von den Ost-Medien bereitwillig aufgegriffen wurde) zwar richtig, muss aber in eine andere Dimension gerückt werden. Fakt ist, dass „Our Summer Romance“ im Oktober 1959 bis auf Platz 2 steigen konnte. Fakt ist aber auch, dass die zugrunde liegende Hitparade keine landesweiten Verkäufe verglich, sondern lediglich die Charts eines lokalen Radiosendersaus Denver, der Heimatstadt Reeds, widerspiegelte. Solchen Geschichten kommt Ernsting im Laufe seines Lebensberichtes immer wieder auf die Spur. Er hütet sich aber vor einer einseitigen moralischen Bewertung, da schließlich die gesamte Unterhaltungsindustrie von den Schönfärbereien der Marketingstrategen lebt. Vielmehr spürt der Leser bei Ernsting immer die Sympathie, die er dem Menschen Reed entgegenbringt. Mögen dessen künstlerische Leistungen auch nicht für die Ewigkeit sein, bewies er mit seinen zahlreichen Aktionen doch einen Mut, der so manchen hochgefeierten „Hippies von der Friedensbewegung und den marxistischen Kaffeekränzenchen“ (S. 190) gut zu Gesicht gestanden hätte.
Gleichzeitig aber macht Ernsting auch deutlich, dass Reeds Mut immer auch von relativ harmlosen künstlerischen Ergebnissen begleitet waren, die zur Tolerierung durch die östlichen Parteigenossen beigetragen haben. Schärfere Kritik an den Verhältnissen, die natürlich nicht nur gegen den dekadenten Westen, sondern auch gegen die Diktaturen aus dem Osten notwendig gewesen wären, waren von Reed indessen nicht zu hören.
Dadurch zog er sich auch der Unmut von ostdeutschen Intellektuellen zu, die zwar miterlebten, wie Reed sich etwa in den USA verhaften ließ und seine Freilassung für ein Medienspektakel benutzte, die jedoch nie sahen, wie Reed sich für die „Haftbedingungen“ seiner ostdeutschen Landsleute in der DDR einsetzte.
Ernstings Ziel, das Leben Reeds quellenkritisch und objektiv zu betrachten, kommt besonders im letzten Teil der Biografie zum Tragen, in dem der Tod des Künstlers thematisiert wird. Zwar gibt es diverse Ungereimtheiten Ableben Reeds, es gibt aber auch ebenso viele Gerüchte über Verwicklungen, Komplotte und Mordanschläge, die gleichermaßen unbewiesen sind, aufgrund genauer Recherchearbeit mit ziemlicher Sicherheit aber ins Reich der Fiktion verwiesen werden können. Ernstings Urteil bei diesen und anderen Sachverhalten beruht nicht zuletzt auf einer genauen Betrachtung der Faktenlage, die im Anhang mit detaillierter Bibliografie, Filmografie und Diskografie mustergültig dokumentiert ist. Lobenswert ist auch der Abdruck eines Personenregisters und ausgewählter Songtexte von Dean Reed. Wer sich jetzt noch mit eigenen Ohren davon überzeugen möchte, wie der rote Elvis geklungen hat, kann dies anhand mehrere Soundschnipsel auf der Internetseite www.deanreed.de nachholen.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 254ff.