Monika Mertl: Nikolaus Harnoncourt. Vom Denken des Herzens

Mertl, Monika: Nikolaus Harnoncourt. Vom Denken des Herzens. Eine Biographie. – St. Pölten: Residenz Verlag, 2004. – 408 S.: Ill.
ISBN 3-7017-1409-6: € 24,90 (geb.)

In ihrer sehr ausführlichen und persönlichen Darstellung der vorliegenden Biographie Nikolaus Harnoncourts (*1929) hat die Autorin einen weiten Bogen gespannt und ist tief eingedrungen in die Dinglichkeiten dieses Musikerlebens. Insbesondere die persönlichen Begegnungen und ausführlichen Gespräche mit dem Künstler haben es möglich gemacht, dass in der vorliegenden Veröffentlichung ein sehr persönliches, ja nachgerade ein intimes Bild dieses Großen in der Musik entstanden ist.
Die Autorin beginnt mit der hochwohllöblichen Abstammung des Maestros, die diesem nie etwas bedeutet hat. Er hat sich diesem Zusammenhang schlicht entzogen. Zu sehr war er mit sich selbst beschäftigt.
Dennoch gibt die Autorin diesem Aspekt seines Lebens gebührenden Raum. Da ist vor allem der Ururgroßvater Erzherzog Johann von Österreich, der mit seiner bürgerlichen Ehefrau Anna Pochl einen Sohn hatte.
Bis zur Drucklegung des vorliegenden Buches hat es dieses Paar auf gut und gerne 1.000 Nachfahren gebracht. Für den Künstler war neben der Großmutter Gräfin Meran vor allem der gestrenge Vater Eberhard de la Fontaine Graf d’Harnoncourt-Unverzagt beeindruckend. Seinen weltlichen Pflichten tief verbunden, hatte dieser seiner intensiven Neigung zur Musik nie den Platz einer Hauptbeschäftigung eingeräumt. Dennoch entstanden so ganz nebenbei beachtliche Kompositionen. Obwohl vornehm von Herkunft, war der einstige Reichtum der Familie bereits Vergangenheit. Geschenkt wurde den Kindern Harnoncourt nichts. So beeindruckt Nikolaus Harnoncourt durch seine zielgerichtete Vorgehensweise. Er begann früh das Cello zu spielen. Ebenfalls früh begegnete ihm seine spätere Frau Alice. Beide gemeinsam widmeten sich schnell dem bis heute wichtigsten Lebensthema: der Alten Musik und den entsprechenden Musikinstrumenten.
Dafür nahmen beide sehr viel auf sich. Schon als Student kaufte Harnoncourt sich lieber ein altes Instrument als ein Paar dringend notwendiger neuer Schuhe. Der fast schon totale Konsumverzicht kann als Leitmotiv der Familie gelten. Nicht immer einsehbar frei lich für die vier Kinder dieser Verbindung. Harnoncourt war über viele Jahre als Cellist im Dienste der Wiener Symphoniker verpflichtet. Karajan hatte diesen eigenwilligen Musiker umstandslos an den Favoriten der Stellenausschreibung vorbei engagiert. Viel Spaß machte Harnoncourt dieser Job nicht. Mit bis zu drei Diensten am Tag spielte er sich in dieser Zeit quer durch die Orchesterliteratur. Er litt unter vielen Stümpern am Dirigentenpult. Er versuchte, seinen Brotberuf mit der persönlichen Leidenschaft zur Musik in Einklang zu bringen. Das war schwierig. Häufig hatte er mit Verwirrung, Verzweiflung, Zorn und Aufbegehren zu kämpfen.
Er litt an den Unsinnigkeiten des Betriebes, an der Gedankenlosigkeit, an Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit. Doch irgendwie musste die Familie ernährt werden. Seine Frau Alice, selbst eine hervorragende Violinistin, und er haben in gemeinsamer Arbeit und sinnvoller Arbeitsteilung das Ensemble Concentus Musicus ins Leben gerufen. Es blieb wenig Zeit übrig und nur wenige vollständige Wochenenden im Jahr, um sich dieser geliebten Arbeit angemessen widmen zu können. Und es gelang!
Seinen Musikern legt er für die Aufführungen Noten vor, die in ungezählten Stunden von historischen Fehlern bereinigt worden sind. Außerdem werden diese Noten mit Vortragszeichen versehen, die für seine Interpretation der Werke notwendig sind. Ihm ist nicht die reibungslose Reproduktion der Werke wichtig als vielmehr die möglichst genaue Aussage derselben. Um sich ganz und gar diesem Teil seiner Arbeit widmen zu können, hat er viele ehrenvolle Stellenangebote ignoriert. Er wollte keine Tätigkeiten neben dem reinen Musizieren. So entschied er sich gegen alle Arten von Verwaltungs- oder Repräsentationsverpflichtungen.
Die Autorin geht im Verlaufe der Darstellung sehr ausführlich auf die musikalischen Fragen in diesem Zusammenhang ein. Viele Namen finden gebührende Erwähnung.
Sie verwebt die Entwicklungslinien und Ereignisse dieses Lebens geschickt miteinander. Sie vermeidet es, die Geschichte Harnoncourts strikt chronologisch herunter zu schreiben. Sie bildet immer wieder Themenkreise, nimmt vorweg oder reicht Informationen an geeigneter Stelle nach. Eine lebhafte Lektüre über ein besonderes Leben, dem auch eine besondere Liebesbeziehung respektive partnerschaftliche Bindung beschert war.
Alice, selbst hochbegabt, hat sich zeitlebens in den Dienst ihres Mannes gestellt. Man darf dieser Frau aufrichtige Bewunderung zollen, die nicht nur die vier Kinder großgezogen und den Haushalt weitgehend alleine gemanagt hat. Sie hat ihren Mann und den Concentus Musicus gemanagt.
Außerdem hat sie selbst aktiv und sehr erfolgreich als Violinistin in diesem Ensemble mitgewirkt. Wäre ein Nikolaus Harnoncourt ohne diese Frau an seiner Seite der, der er heute ist? Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Vielleicht ist es nicht immer so. Hier jedenfalls ist es so. Wir alle können uns freuen und ermutigt sein, zielsicher auf unsere Ziele zu zu gehen. Mit Fleiß, Ausdauer, ja Beharrlichkeit und vor allem viel Freude an der Sache hat noch jeder seine Siege feiern dürfen. Und so hat sich Harnoncourt ein wertvolles Terrain erobert. Mit der vorliegenden Lektüre ist eine umfassende Präsentation gelungen. Sie nimmt den Leser an leichter Hand mit durch alle Stationen dieses Lebens. Immer kommentiert von Harnoncourt selbst. Als Anhang eine Zeittafel, Namensregister, Quellennachweise und Diskographie. – Diese Veröffentlichung ist sehr zu empfehlen.

Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 250ff.

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Harnoncourt, Nikolaus (1929-2016), Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.