Thies, Jochen: Die Dohnányis. Eine Familienbiographie. – Berlin: Propyläen, 2004. – 416 S.: Ill.
ISBN 3-549-07190-6 : € 24,– (geb.)
Bereits auf der Einbandinnenseite der vorliegenden Veröffentlichung wird dem Leser mit dem Stammbaum der Familie ein erster Überblick über die Persönlichkeiten des Clans gegeben. Eine umfassende Recherche wurde durch Interviews mit Familienmitgliedern und weiteren Weggefährten ergänzt. Diese Vorgehensweise hat bei allen vier besprochenen Persönlichkeiten zu ausführlichen Darlegungen und Präzisierungen der Biographien geführt. Der Reigen beginnt mit Ernst (1877–1969), der schon sehr früh als musikalisch begabt auffiel. Er komponierte erste Werke bereits mit sechs Jahren. Sein umsichtiger Vater vermied, dass sein Wunderkind durch frühzeitiges Einfordern der vorhandenen Fähigkeiten um seine Kindheit gebracht worden wäre. So startete Ernst erst relativ spät, eilte jedoch sogleich mit großen Schritten in eine überdurchschnittliche Karriere. Als Komponist, Dirigent und Pianist eroberte er sich die musikalische Welt. Wie genau das ablief und was sonst noch diesen Ausnahmemenschen ausmachte, wird hier genau berichtet.
Das Leben Ernst von Dohnányis liest sich wie ein Kriminalroman. Neben seinen vielen Begabungen und vielseitigen Tätigkeitsfeldern ist es außerdem sein wechselvolles Familienleben, das beeindruckt. Drei Mal verheiratet, hatte er mit seiner ersten Ehefrau Elza die Kinder Grete und Hans. Mit seiner zweiten Ehefrau Elsa einen Mathias und einen Stiefsohn Johannes. Schließlich brachte ihm seine dritte Ehefrau Ilona noch zwei weitere Kinder mit in die Ehe. Wäre dies nicht schon ein reichlich ausgefülltes Leben gewesen, sorgten die politischen Zusammenhänge der beiden Weltkriege für geradezu gespenstische Situationen. Der Autor stellt dieses ganze Leben so knapp und pointiert dar, dass der Leser voller Bewunderung für einen Künstler ist, dem mittlerweile zunehmend gebührende Ehre entgegengebracht wird. Der Begriff des Jahrhundertmusikers scheint für ihn zutreffend zu sein. Mit welcher Kraft Ernst von Dohnányi sein Leben gestaltet hat, liest sich beeindruckend.
Besonders nach dem Ende der Naziherrschaft war er heftigen Anfeindungen ausgesetzt.
Er war außerdem gezwungen, bis zu seinem Tode mit zweiundachzig Jahren für den Unterhalt seiner Familie zu arbeiten. Mit ungebrochener Tatkraft hat er sein Leben bis zum letzten Atemzug aktiv gestaltet und bis zuletzt das Klavierspielen, das Dirigieren und das Komponieren erfolgreich ausgeübt. Was für ein Leben!
Der Sohn Hans (1902–1945) wurde in Wien geboren, wuchs aber zu großen Teilen in einer Grunewald-Villa in Berlin auf. Die feine Umgebung und der Besuch des Grunewald-Gymasiums, heute Walther-Rathenau-Gymnasium, sorgten für die Vernetzung mit den richtigen Leuten. Entscheidend wurde dabei, dass die Familie Bonhoeffer mit ihren acht Kindern in die Nachbarschaft zog. Aus Freundschaft wurde Liebe und Hans und dessen Schwester Grete heirateten je ein Bonhoeffer-Kind.
Das hatte Folgen! Trotz eigener musikalischer Begabung hatte Hans nie vor, selbst auch Musiker zu werden. Er hatte die Konsequenzen aus der Scheidung seiner Eltern zu tragen. Er hatte schon früh Verantwortung für seine Familie zu übernehmen. Wie schon sein Vater hatte auch er einen starken Charakter und klaren Kopf. Somit kann es nicht verwundern, dass er sich mit den politischen Veränderungen in seinem Land nicht abfinden konnte. Hatte sich das patriotische Bewusstsein des Vaters auf Ungarn bezogen, findet sich der Sohn im Kampf um Deutschland wieder.
Insgesamt zwei Jahre hat er in Gefängnissen, Krankenstationen und Konzentrationslagern verbracht. Er benutze seine Krankheit als Waffe, soll er einmal gesagt haben. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 war Hans zunächst unentdeckt geblieben. Doch ein Aktenfund in Zossen und das am 5. April 1945 wiedergefundene Tagebuch des Admiral Canaris legten seine Teilhabe an der Verschwörung offen zu Tage. Er wurde vermutlich am 9. April 1945 hingerichtet. Es ist überaus bedrückend, nin dieser Lebensdarstellung wieder an diese unmenschliche Zeit erinnert zu werden.
Es würde zu weit führen, in dieser Rezension die Vielfalt des vorliegenden Buches weiter auszubreiten. Der frühe Tod des Vaters durch die Hand der braunen Schergen wird seinen Eindruck in den Kindern Barbara (*1926), Klaus (*1928) und Christoph (*1929) hinterlassen haben. Interessant ist, dass sich in dieser neuen Generation mit Klaus sowohl das außergewöhnliche politische Engagement und in Christoph das musikalische des Großvaters findet. Das wirkt wie ein Vermächtnis! Ebenso detailgetreu wie zuvor für den Vater und den Großvater wird hier in knappgefasster Form das Leben dieser kraftvollen Menschen dargestellt – sehr vielschichtig, sehr informativ, sehr spannend. Hier gibt es vier Große auf einen Streich – sehr zu empfehlen.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 245ff.