Zehle, Sibylle: Minna Wagner. Eine Spurensuche. Dokumentation: Jutta Temme. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2004. 573 Seiten. Ill.
ISBN 3-455-09439-2 : € 24,90 (geb.)
Hatten wir durch die Veröffentlichung von Eva Rieger (vgl. Rez. in FM 2004, S. 513ff) zum Thema Minna Wagner bereits Einblicke in die erste Ehe Richard Wagners erhalten, legt Frau Zehle nun noch einmal nach.
Durch die Zuarbeit der Dokumentarjournalistin Jutta Temme ist eine beachtliche Materialfülle entstanden. In minutiöser Kleinstarbeit hat diese Fakten und Daten zu Minna zusammengestellt, die ein sehr viel ausführlicheres Bild der Theaterschauspielerin und Gattin Wagners ergeben.
Durch Frau Rieger hatten wir schon erfahren, durch welche Höhen und Tiefen die Eheleute Wagner zu gehen hatten, und wie es zum Ende der immerhin dreißig Jahre währenden Beziehung kam. Nun erlaubt uns diese neue Veröffentlichung einen genaueren Blick in die Karriere der Minna. Es wird leicher, die Verknüpfung der Tätigkeiten der beiden Eheleute zu erfassen. Minna war eine stolze junge Frau. Selbstverständlich war ihr daran gelegen, eine standesgemäße Ehe einzugehen. Dies gelang nicht. Eine verfrühte Schwangerschaft sorgte für Probleme. Minna und deren Mutter lösten das prekäre Problem auf ihre Weise. Offiziell bekam die Mutter unverhofften Nachwuchs. Als ‚kleine Schwester’ Natalie wurde dieses Kind in Minnas Leben zur ständigen Begleiterin. Diese Lebenslüge blieb zeitlebens bestehen. Doch das ist nicht das eigentliche Thema. Minna stellte sich auf ihre eigenen Beine. Durch ihre schauspielerische Begabung brachte sie es auf der Sprechbühne zu einigem Ruhm.
Der im Vergleich zu ihr rastlose junge Wagner hätte eigentlich froh sein können, in dieser jungen Frau ein stabilisierendes Element für seinen langen Reifungsweg gefunden zu haben. Doch so einfach funktioniert ein Künstlerleben offensichtlich nicht.
Die Autorin hat das Leben Minna Wagners in die drei großen Kapitel ‚Das Debüt’, ‚Die Dramen des Lebens’ und ‚Der Vorhang fällt’ aufgeteilt.
Die einzelnen Unterpunkte sind ausnahmslos mit geographischen Begriffen definiert. So beginnt die ‚Story’ in Bad Lauchstädt, wo sich die Protagonisten dieser Handlung in einem Flur zum ersten Mal begegneten. Sie hatten in der Goethestrasse im selben Haus übereinander je ein Zimmer gemietet, Minna als bereits bekannte Schauspielerin, und Richard als ein noch unbekannter junger Mann. Zu diesem Zeitpunkt lieferte er noch die Anzeichen dafür, einmal einer der ganz Großen seiner Zunft zu werden. Viel erfährt der Leser so ganz nebenbei über das Städtchen, das Theater und die Lebensweise zu dieser Zeit. Nach einem ebenfalls sehr detaillierten Rückgriff auf das vor diesem Zeitpunkt liegende Leben der Minna Planer wird mit Abschnitt drei das entscheidende Silvesterfest eingeführt. Das Paar Minna und Richard werden sozusagen installiert.
Schon auf diesen vergleichsweise wenigen Seiten der Veröffentlichung wird deutlich, wie gründlich diese recherchiert ist, und in welcher souveränen Weise die Autorin den Bogen dieses Lebens spannt. In einem angenehmen Erzählton wird die wissenschaftliche Grundlage des Textes zu einem freudvoll zu lesenden Großen und Ganzen. So ganz nebenbei wird auch ein facettenreiches Bild der Zeit vermittelt. Die weit mehr als fünfhundert Seiten dieses Buches sind gespickt mit wertvollen Informationen. Die Sprache der Autorin ist romanhaft und bleibt dennoch knapp und bildhaft. Es macht Spaß, dieses Buch zu lesen, den Inhalt zu genießen, den Horizont auf diese Weise zu erweitern, und einzutauchen in die Welt der Wagners.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 242f.