Wollny, Peter: „Ein förmlicher Sebastian und Philipp Emanuel Bach-Kultus“. Sara Levy und ihr musikalisches Wirken. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2010. – 145 S.: 24 Abb. (Beiträge zur Geschichte der Bach-Rezeption ; 2)
ISBN 978-3-7651-0390-2 : € 24,00 (geb.)
Dieser Band enthält gar nicht mal sehr viel Neues; sein enormer Vorteil liegt aber darin, verstreut Bekanntes hier sinnvoll, schön und nützlich vereinigt zu finden. Dazu gehört unter bibliothekarischem Gesichtspunkt besonders die Auflistung der Bach-Quellen (Vater und Söhne) aus der gesamten Berliner Familie Itzig, der Sara Levy (geb. Itzig, 1761–1854) entstammte. Von diesen, zum Teil den Bachs nur zugeschriebenen Autographen und Abschriften besaß Sara Itzig zwar die meisten, aber nicht alle, und so lagern sie heute auch nicht alle in der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek, sondern sind darüber hinaus auch noch in Österreich, Belgien, Großbritannien und den USA verstreut. Die quellenkritische Beschreibung beschränkt sich zugegebenermaßen auf das Allernötigste, und so ist ihr Gebrauchswert beschränkt. Da Sara Levy eine der vielen Großtanten Felix Mendelssohns war, wird sie gerne zur „musikalischen Familiengeschichte der Vorfahren Mendelssohns“ gezählt, was insofern seine Berechtigung hat, als sie ihrem Großneffen nicht nur Noten aus ihren Bach-Beständen lieh oder schenkte, sondern ihn sogar überlebte.
An Dokumenten finden wir vier Briefe an Sara Levy, darunter den traurigen Brief der Witwe Friedemann Bachs nach dessen Tode, in dem sie treulich erzählt, was ihr Mann alles noch an Autographen besaß, während das Testament der Levy ihre Musikalien pauschal an die Berliner Musikdirektoren vermacht. Kurzbiografien einiger Itzigs und verbandelten Mendelssohns mit näheren Literaturangaben lassen ein etwas persönliches Bild der an musikalischen Köpfen reichen Familien erscheinen. Das Buch ist großzügig, weitmaschig gedruckt, so dass sich einem als Erstes ein Abkürzungsverzeichnis über mehrere Seiten aufdrängt. Die 24 ganzseitigen Bildbeigaben, auf denen Personen, Drucke, Autographen und alte Stadtlandschaften Berlins abgebildet sind, gewähren einen anschaulichen Einblick in die lange Epoche oder die mehreren Epochen, in denen Sara Levy lebte, sammelte und vor allem selbst musizierte, wie auch aus der Zeittafel ihres Lebens hervorgeht. Ein Literatur- und Personenregister aller irgendwie Beteiligten macht den kleinen Levy-Kosmos erschließbar.
Der Hauptbeitrag des Autors, resp. Herausgebers dieses Dokumentenbandes ist leider nur eine „überarbeitete und wesentlich erweiterte Fassung“ aus dem 1. Band dieser Reihe. Das allein wäre noch nicht so schlimm, man fragt sich aber, warum es dem Autor im Rahmen der Überarbeitung und Erweiterung nicht gelungen ist, das Zitat, das dem Buch seinen Titel gibt, dingfest zu machen. Die „Zitiert nach“-Methode versagt hier. Er schiebt es einfach Reichardt in den Mund, der bei Itzigs zu Besuch war, dessen fragmentarische Autobiografie in der Berlinischen Musikalischen Zeitung und dessen weitere Bruchstücke in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung und dessen von Schletterer gesammelten Notizen diese Bemerkung nicht enthalten. Sie stammt einfach von Adolf Weismann (1911), der auch gar nicht behauptete, dass Reichardt sie getan hätte. Aber wie viele Generationen von „Sara-Levy-Kennern“ werden es jetzt wieder behaupten?
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 345f.