Petras, Ole: Wie Popmusik bedeutet. Eine synchrone Beschreibung popmusikalischer Zeichenverwendung. – Bielefeld: transcript, 2011. – 314 S. (Studien zur Popularmusik)
ISBN 978-3-8376-1658-3 : € 31,80 (Pb.)
Im Grunde dürfte es nicht so schwer sein, drei Minuten Popmusik zu erklären. Ein paar Akkorde hier, einige Instrumente dort, auch der Text birgt wenige Geheimnisse. Und doch mühen sich seit Jahrzehnten die klügsten Köpfe an dieser Aufgabe ab. Denkt man nur an Philip Taggs wegweisende und über 400 Seiten starke Untersuchung über ein paar Takte der Kojak-Filmmusik (1979), ahnt man die Dimensionen. Gewiss, Ansätze gibt es genug: Musik-, Sprach- und Kulturwissenschaftler, Soziologen, Sounddesigner und noch einige mehr streiten sich um das Fell des Bären. Doch birgt das singuläre Vorgehen bei einem solch komplexen Bedeutungsgeflecht wie der Popmusik auch die Gefahr der Betriebsblindheit.
Ole Petras hat sich die Mühe gemacht, die einzelnen Diskursfäden miteinander zu verknüpfen. Der Medien- und Literaturwissenschaftler, der derzeit an der Kieler Universität lehrt, definiert in seiner Dissertation mehrere Analyse-Ebenen, die er nacheinander abarbeitet. An den Anfang stellt Petras die klassische Analyse, in der musik- und textrelevante Parameter wie Harmonik, Melodie, Rhythmus, Metrik und Syntax untersucht werden. Anschließend wendet der Autor sich der Produktionsebene zu (Stimme, Sound, Technik), analysiert Titel, Cover und Booklet bei den Referentialisierungen (Ebene der Illustration), bevor er über die marktrelevante Ebene (Distribution: Plattenfirmen, Produkte, Vertrieb, Urheberrecht) und die der Akquisition (Marke, Inszenierung, Public Relations) bei der Rezeption endet. Dieser Überblick allein ist beeindruckend und überwältigend zugleich.
Außer Frage steht, dass sich mit Ole Petras ein Fachmann im besten Wortsinn dem Thema gewidmet hat: Der Autor hat die einschlägige Literatur studiert (ein Mammutunterfangen bei dem Themenspektrum) und sie für seine Zwecke nutzbringend angewendet. Trotzdem aber sei die Frage erlaubt, ob der von Petras vorgeschlagene synchrone Ansatz im Tagesgeschäft des Popmusikologen umgesetzt werden kann. Wenn der Autor beispielsweise Philip Taggs semantischen Analyseansatz anspricht (S. 65), so ist gegen die Anwendung natürlich nichts einzuwenden. Doch alleine das Analysepotential dieser einen Methode ist so weitreichend (siehe Taggs oben genannte Kojak-Untersuchung), dass das übrige von Petras vorgestellte Instrumentarium zwangsläufig vernachlässigt werden muss.
Sieht man die Untersuchung als Leitfaden, kommt erschwerend hinzu, dass sich der Autor sprachlich in das obere Stockwerk des akademischen Elfenbeinturms begeben hat. Natürlich gibt es gute Gründe für eine Fachterminologie; wenn darunter aber – zumindest streckenweise – die Lektüre leidet, wären einige populärwissenschaftliche Zugeständnisse hilfreich gewesen.
Michael Stapper
München, den 28.11.2011