Im Mass der Moderne. Felix Weingartner – Dirigent, Komponist, Autor, Reisender/ Hrsg. v. Simon Obert u. Matthias Schmidt. – Basel: Schwabe, 2009. – 474 S.
ISBN 978-3-7965-2519-3 : € 34,00 (geb.)
Auf sachbezogene, sachliche Literatur über Interpreten trifft man selten. Wenn es um Sänger, Instrumentalisten und Dirigenten geht, überwiegt bei weitem die hagiographische Geschichtsschreibung. Kein Wunder, handelt es sich doch in der Regel um noch lebende Interpreten, deren prinzipiell berechtigtes Interesse an einer werbewirksamen Berichterstattung dieses Genre nährt. Freilich hat es immer wieder Ausnahmen gegeben. Sie sind ganz unterschiedlich ausgefallen: Jens Malte Fischers konzentrierte kurze Studie über Carlos Kleiber (Carlos Kleiber – der skrupulöse Exzentriker; Göttingen 2007) gehört ebenso dazu wie der von Lars E. Laubhold und Jürg Stenzl herausgegebene Tagungsbericht Herbert von Karajan 1908–1989. Der Dirigent im Lichte einer Geschichte der musikalischen Interpretation (Salzburg 2008). Der im Zusammenhang mit einer kleinen, aber interessanten Basler Ausstellung entstandene dicke Sammelband über Felix Weingartner (1863–1942) greift das Konzept der Karajan-Publikation insofern auf, als hier ebenfalls Einzelaspekte des Wirkens eines Musikers abgehandelt werden, ist aber konzeptionell konzentrierter gegliedert, da die 29 Beiträge thematisch streng gegliedert sind. Nach einleitenden, eher summarischen Texten teilen sich die nachfolgenden Aufsätze auf vier Kapitel auf, die biographische Einzelaspekte behandeln und sich mit dem Schriftsteller, dem Komponisten und – eigenartigerweise als letztes – dem Dirigenten Weingartner auseinandersetzen. Jedes dieser Kapitel enthält einen von Weingartner selbst stammenden Beitrag, darunter auch bislang unveröffentlichte autobiographische Texte. Es war ein kluger Schachzug, nicht nur etablierte Musikwissenschaftler wie Peter Gülke, Peter Hagmann und Thomas Seedorf, sondern auch Basler Doktoranden zu verpflichten. Dies ermöglichte, dass mehrere Autoren in Basel liegende, bislang unpublizierte Dokumente auswerten konnten.
Im Anhang befinden sich eine nützliche Zeittafel (mit Abbildungen, die leider lediglich im Briefmarkenformat sind), ein ausführliches Kompositionsverzeichnis, ein Schriftenverzeichnis (mit einer separaten Auflistung der Sekundärliteratur) sowie eine „Diskografie“ bezeichnete Aufstellung der Einspielungen Weingartners (als Dirigent wie als Komponist). Da diese Aufstellung in keinerlei Hinsicht an die von Christopher Dyment erstellte Diskographie (Felix Weingartner. Recollections and recordings. Rickmansworth 1976) heranreicht, wäre im Vorspann ein Hinweis auf diese Publikation sinnvoll gewesen. So bleibt sie in der allgemeinen Bibliographie versteckt.
Im großen und ganzen handelt es sich um eine gelungene, ausgesprochen gediegen hergestellte Publikation, die zu Recht das Interesse an einer historischen Musikerpersönlichkeit weckt und der Vielschichtigkeit Felix Weingartners durchaus gerecht wird. Ausgesprochen attraktiv sind die vielen ganz- oder doppelseitigen, allerdings unkommentierten Fotos. Eine willkommene, schlüssige Alternative zu dem traditionellen Genre der Musikerbiographie.
Martin Elste
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 271f.