Rosteck, Jens: Hans Werner Henze. Rosen und Revolutionen. Die Biographie. – Berlin: Propyläen, 2009. – XVI, 576 S.: zahlr. Abb.
ISBN 978-3-549-07350-6 : € 26,95 (geb.)
Gar nicht so einfach, nach den autobiographischen Mitteilungen, die Henze (*1926) selber unter dem Titel Reisebilder mit böhmischen Quinten vor 13 Jahren machte und die literarisch nicht gerade anspruchslos waren, im 83. Lebensjahr des noch lebenden und weiter komponierenden Musikers eine erste umfassende Biographie zu veröffentlichen. Rosteck hat das beeindruckend gemeistert, weil er erstens ein begabter Erzähler und Zeitgeistdiagnostiker ist und zweitens den Vorlass Henzes und die Korrespondenzen mit Zeitgenossen, soweit zugänglich, studiert hat. Da Rosteck trotz aller Sympathie für den Künstler und Menschen Henze doch auch genügend Distanz wahrt, kann er sogar einiges zurechtrücken und als Außenstehender besser interpretieren.
Kaum zu glauben, dass Henze bei dem aufregenden, kreuz und quer durch Europa treibenden Leben an vielerlei Orten und bei den intensiven Freundschaften und Feindschaften, die er mutig pflegte, überhaupt noch zum Komponieren gekommen ist. Auch Rosteck hilft einem da nicht weiter, denn es geht zwar um den Lebenszweck Musik, aber die von Henze in wahren Arbeitsräuschen komponierte Musik kommt in dieser auf Menschen und Orte fixierten Biographie etwas zu kurz; es ist eher selten, dass sie näher beschrieben wird, obwohl so viele Lebensspuren in ihr ihren Niederschlag gefunden haben sollen.
Das Paradox der künstlerischen Existenz Henzes: ein experimentierfreudiger, wandlungsfähiger Traditionalist und ein ästhetizistischer Gleichheitsverfechter zu sein, kommt in dieser lebendig redenden Lebensdarstellung sehr gut zur Geltung. Man erkennt heute das Stumpfsinnige und Falsche an den Bewertungen, denen Henze durch eine verstockte und gehässige Öffentlichkeit, durch Kollegen und das werte Publikum ausgesetzt war, besser, wenn man mit Rosteck das Schillernde und zugleich Prinzipienfeste an der Person Henze in den Blick nimmt. Henze hat zwar stets für die althergebrachten Institutionen des Musikbetriebs geschrieben, um sie von innen her zu verändern, zugleich aber in seiner Solidarität mit den Ausgeschlossenen nie nachgelassen. Allerdings ist sein Versuch, Künstler und politischer Revolutionär in einer Person zu sein, als gescheitert anzusehen. Seine Verteidigung musikalischer Schönheit und sein Engagement für politische Freiheit sind auch nebeneinander herlaufend achtenswert. Kein Kunstwerk wird dadurch besser, dass man ihm die vermeintlich richtige politische Tendenz noch parolenhaft einimpft oder anklatscht.
Henzes Vorliebe für szenische Vokalmusik ist keine willkürliche Schwerpunktsetzung seines Biographen, wenn auch die anderen Werkgattungen etwas zu kurz kommen. Man hat in dieser Biografie eine umfassende Bibliographie, einen detaillierten Anmerkungsapparat, eine auskunftsfreudige Chronik, ein Register und 16 Bildtafeln zur Verfügung, wenn einem der Haupttext Rostecks manchmal zu weit- und abschweifig und zu manieriert vorkommt.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FM 31 (2010), S. 270f.