Hilmes, Oliver: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel. – München: Pantheon, 2010. – 477 S.: 86 s/w-Abb.
ISBN 978-3-570-55112-7 : € 14,95 (kart.)
Und wieder einmal hat sich der Autor Oliver Hilmes tief in die Zusammenhänge, Verwicklungen und Verstrickungen eines Frauenlebens hineinbegeben. Im Zugriff auf die intime schriftliche Hinterlassenschaft der Protagonistin kann er in seinem 2004 anlässlich deren 40. Todestages als gebundene Ausgabe erschienenem Werk (bereits 2005 in einem anderen Verlag als Taschenbuch veröffentlicht) bisher unbekanntes Material nutzen und somit die Tiefenschärfe auf eine der schillerndsten Frauengestalten des vergangenen Jahrhunderts neu ausleuchten. Der erhebliche Verschleiß an Männern war auch vorher bekannt. Weniger vertraut war der Leser bisher in allen Angelegenheiten der drei Ehen Alma Schindler-Mahler-Gropius-Werfels (1879–1964). Die Charakterbeschreibung der Hauptperson macht diese noch vielschichtiger, arbeitet die ungehemmte Leidenschaft und unerbittliche Vorherrschaft dieser Unentwegten heraus – nicht immer zum Vorteil Almas. Eine unruhige, irgendwie rastlose Person hat das Leben viele Herausforderungen für sie parat. Drei Kinder und zwei Ehemänner zu beerdigen ist für jeden schwer, auch für Alma. Es gelingt Hilmes, ein facettenreiches Leben ausführlich zu schildern und nach zu vollziehen. Ein unrühmlicher Schwerpunkt fällt dabei auf die antisemitische Grundhaltung, die dem Leser hier und da das Blut in den Adern gefrieren lässt. Bewertungen und vor allem Abwertungen im Rundumschlag. Die Verächtlichmachung sogar der unmittelbaren Umgebung ist nicht nachvollziehbar und erklärt vieles. Der rüde Umgang mit dem einst geliebten Ehemann Walter Gropius (1883–1969), die Gängelung des großen Schriftstellers Franz Werfel (1890–1945) und vorab die eigentümliche Haltung dem unentwegt schöpfenden Genie Gustav Mahler (1860–1911) gegenüber, lesen sich befremdlich. Selbstherrlich, unberechenbar, leidenschaftlich und leidensfähig, unbeugsam und unbeschreiblich stolz, stolziert diese geschäftstüchtige Frau medienwirksam durch ihr bewegtes Leben. Strippenzieherin und Organisatorin ist sie fraglos ein Multitalent auch außerhalb ihrer künstlerisch angelegten Persönlichkeit. Als starker Charakter, den ihr niemand streitig machen kann, zieht sie die künstlerisch-feinsinnigen Liebhaber und Ehemänner hinter sich her, durchaus zu deren Vorteil. Die Liebesbeziehung mit einem katholischen Geistlichen reden sich beide erstaunlich schön… Die Schilderungen der Flucht Almas und Werfels durch steiles Gelände der Pyrenäen und der Neuanfang im amerikanischen Exil sind beeindruckend. Die ‚Liz Taylor des Bauhauses‘ oder ‚ein Überweib im Stil der Renaissance, eine Halbgöttin‘ sei sie gewesen (S. 417). „In mir ist ein ungeheurer Protest gegen alle, die nicht vor mir niederknien“ (S. 418), verrät sie ungeniert. Ihre Lebensleistung sei die Komposition der eigenen Legende gewesen, steht im Nekrolog (S. 418). Ein Anmerkungsteil und verschiedene Register runden die Veröffentlichung ab. Empfehlenswert.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FM 31 (2010), S. 268f