Drösser, Christoph: Hast du Töne? Warum wir alle musikalisch sind. – Reinbek: Rowohlt, 2009. – 315 S.: s/w-Abb.
ISBN 978-3-498-01328-8 : € 19,90 (geb.)
Worum es Christoph Drösser in seinem aktuellen Buch geht, formuliert er gleich im Untertitel: Warum wir alle musikalisch sind. Die These lässt aufhorchen, denn Musik gehört für die meisten Menschen zwar zum Leben, ob als Dauerberieselung oder Lebenszweck, doch die Frage, ob sie sich für musikalisch halten, verneinen 60 Prozent. Musik, so die verbreitete Einschätzung, sei vor allem eine Sache der Begabung, und darüber verfügten nur wenige Ausnahmetalente.
Mit solchen Klischees räumt Christoph Drösser gründlich auf. „Musikalität ist (…) eine Eigenschaft, die praktisch jeder von uns besitzt“ (S. 9), ist der 51jährige Mathematiker überzeugt. Und so begibt sich der Wissenschaftsredakteur der ZEIT in seinem flüssig geschriebenen und angenehm zu lesenden Buch auf eine unterhaltsame Spurensuche zu Musikalität und Hörverhalten. Was Musikalität eigentlich bedeutet und wie wir musikalischen Input aufnehmen und verarbeiten, wollte der passionierte Hobby-Musiker wissen und recherchierte in verschiedenen Disziplinen. Die Forschungsergebnisse aus Musikwissenschaft, Psychologie und Medizin, vor allem der Hirnforschung, die in den letzten zehn Jahren überraschende Erkenntnisse präsentieren konnte, spiegeln sich in einer wahren Flut von Zahlen, Fakten und Studien. Für den Leser wird es jedoch nie trocken oder langweilig, denn der erfahrene Feuilleton-Redakteur vermittelt die komplizierte Materie überaus anschaulich und vergnüglich, ob es um die Ursprünge und Entwicklungen der Musik geht, um Hörstörungen wie den Tinnitus oder Aspekte des musikalischen Lernens.
Schon so salopp formulierte Kapitel-Überschriften wie „Hallo, hallo, ich bin dein Ohrwurm“ oder „Auf der Suche nach dem universellen Chill“ deuten an, wie lebendig Christoph Drösser das weite Forschungsgebiet verständlich macht. Immer wieder streut er auch eigene, oft amüsante musikalische Erfahrungen ein, die er als Mitglied einer Band und als Sänger in einer A-cappella-Formation gemacht hat.
Und geradezu spannend ist es, wenn er etwa den akustischen Weg des Schalls durch das Ohr nachzeichnet oder das „musikalische Lexikon“ vorstellt, in dem alle uns bekannten Lieder und Melodien gespeichert sind und das es uns ermöglicht, Bekanntes innerhalb kürzester Zeit zu identifizieren. „Kenn’ ich“, ist dann die blitzschnelle Reaktion, während es viel länger dauern kann, bis wir uns an den Namen des Liedes oder Hits erinnern.
Um seine LeserInnen nicht nur über das gedruckte Wort, sondern auch über das Ohr anzusprechen, hat der Medien-Experte immer wieder Hörhinweise in den Text eingestreut, die im Internet abrufbar sind.
Eine höchst anregende Lektüre für ein breites Publikum, auch – oder vielleicht vor allem – für jene, die an ihrer Musikalität zweifeln.
Friedegard Hürter
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 79f.
Nachtrag: „Hast du Töne?” wurde von „Bild der Wissenschaft” bei der Wahl der Wissenschaftsbücher des Jahres 2010 mit dem dritten Preis in der Kategorie „Überraschung – das Buch, das ein Thema am originellsten anpackt” ausgezeichnet! jl