Gülke, Peter: Robert Schumann. Glück und Elend der Romantik. – Wien: Zsolnay, 2010. 271 S.
ISBN 978-3-552-05492-9 : € 21,50 (geb.)
Dies ist ein (alters)weises und erfahrungsgesättigtes Buch. Gülkes Umgang mit Schumanns Musik ist ein vertrauter und auch einer, der von ausgiebiger Musizierpraxis herkommt. Trotzdem ist es äußerst zweifelhaft, ob jeder Leser beim Spielen oder Anhören der von Gülke interpretierten Stücke in den (leider nicht mit abgedruckten) Noten oder in den Ohren jene Assoziationen nachvollziehen kann, zu denen Gülke von dieser Musik verleitet wurde. Aber dadurch würde sich nur Gülkes Grundauffassung bestätigen, dass Tonkunst einen Gleichnis- oder Projektionsraum eröffnet, der weitgehend subjektiv ist. Trotzdem versucht Gülke, seine Erfahrungen mit Schumanns Musik zu objektivieren, vor allem dadurch, dass er seine Reflexionen sehr stark in eine ideengeschichtliche Debatte einbettet, die besonders auf Diskussionen zu Lebzeiten Schumanns zurückgreift. Er denkt sogar so sehr „im Anschluss“ an frühere Musikschriftsteller und auch Philosophen, dass er manchmal Zitate nicht aus Primärquellen bringt, sondern aus der Schumann-Sekundärliteratur, was heikel ist und dazu führt, dass er fraglich konstruierte Zusammenhänge einfach verlängert.
Dies ist keine Biografie, trotz der präzise gearbeiteten 30seitigen Zeittafel, an der man sich gut orientieren kann – genauso wenig wie der Essay Gülkes „Schumanns jubelnd erlittene Romantik“ im Schumann-Handbuch von 2006, aus dem dieses Buch hervorgegangen ist, dort unter der Rubrik „Leben“ richtig eingestellt war. Dieses Buch gibt eher musikästhetische Überlegungen wieder, die (auch) mit biografischen Daten unterfüttert sind. Im Zentrum steht die von Gülke bestens aktualisierte und einer neuen Lösung zugeführte Frage nach dem Verhältnis von außermusikalischen Bezügenund innermusikalischer Logik. Schumanns musikalische Träumereien haben zwar oft literarische Phantasien zum Vorwurf, aber alles, was an ihnen wie klangliche Illustration von nichtmusikalischen Wirklichkeitselementen scheint, ist in Wirklichkeit eine in die Sphäre der musikalischen Komposition transportierte eigene Welt reinmusikalischen Charakters, die zwar ihrer eigenen Logik folgt, aber zur Analogie mit epischen Ereignissen taugt. Gülke kann dieses komplizierte Wechselverhältnis an Schumanns Manfred-Musik sinnfällig erläutern. Dass Musik dadurch auch immer zu einem klangbildlichen Kommentar der literarischen Vorlage gerät, ist bei Schumann unerlässlich. Wichtig ist auch Gülkes Hinweis, dass Schumann die Titel und Gegenstände vieler Klavierstücke, die gerne für Programmmusik gehalten werden, erst selber fand und assoziierte, als die Komposition beendet war. Gülke neigt über das ihm zugestandene Maß eines eigenen stilistischen Tons hinaus zu Manierismen und kryptischen Äußerungen, die manchmal etwas stören und ratlos machen. Ansonsten aber ein wichtiges Buch in der Schumann-Nachfolge, das den Komponisten mitten in die Zukunft 21. Jahrhundert stellt.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 264