Vitalis, Christian: Hans Pfitzners Chorphantasie Das dunkle Reich. – Köln: Dohr, 2006. – 216 S.: Notenbeisp.
ISBN 3-936655-39-1 u. 978-3-936655-39-1 : € 24,80
Pfitzner ist irgendwie aus der Mode gekommen, ein Schicksal, das er mit vielen anderen Komponisten seiner Generation teilt, mit Franz Schreker, Erich Wolfgang Korngold, Alexander Zemlinsky oder Franz Schmidt. Die Gründe sind auf den ersten Blick nicht so einfach benennen. Meist werden als Argumente „Epigonentum“, „verspätete Romantik“, „wenig Originäres“ usw. angeführt.
Bei Pfitzner mag noch erschwerend sein ungeklärtes Verhältnis zum Nationalsozialismus dazukommen. Diesem Vorwurf aber schafft zum einen die aufführungspraktische Auseinandersetzung mit dem Werk Abhilfe, zum andern eine gründliche Aufarbeitung der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte.
Diesen Gründen hat sich Christian Vitalis in seinem Buch „Hans Pfitzners Chorphantasie Das dunkle Reich“ verschrieben. In neun Großkapiteln nähert er sich dem Werk Pfitzners von den unterschiedlichsten Seiten. Neben der kürzeren Einleitung und dem Beschluß sind es vor allem die Hauptkapitel der Analyse, der biographischen Skizzen zu Pfitzner und der Entstehungsgeschichte der Komposition, die Das dunkle Reich erhellen. Den umfangreichsten Teil des Buches nehmen Analysekapitel ein, die sich sowohl Einzelaspekten der Komposition als auch satzübergreifenden Betrachtungen widmen. Aufschlußreich auch die Kapitel über „Rezeptionsgeschichte“ und der Versuch einer abschließenden Einordnung durch den Verfasser.
Vitalis gelingt es, das Werk auf dem Hintergrund der Biographie Pfitzners darzustellen, was in diesem speziellen Fall von besonderer Wichtigkeit ist, entstand die Komposition Das dunkle Reich doch aus Anlaß des Todes der Frau des Komponisten. Damit reiht sich Pfitzner in die Reihe derer ein, die Todeserfahrungen im persönlichen Umkreis kompositorisch mit einer eigenen Gattung verarbeiteten, entweder mit einem nonverbalen Requiem (z.B. Alban Bergs Violinkonzert, Franz Schmidts 4. Sinfonie), oder mit einem Requiem auf einer selbst zusammengestellten Textbasis außerhalb des lateinischen Offiziums unter Verwendung von frei gewählten Bibelstellen (wie z.B. Johannes Brahms) oder von selbst zusammengestellten Gedichten, wie eben hier im vorliegenden Falle bei Pfitzner (Lyrik von Michelangelo, J. W. Goethe, C. F. Meyer und R. Dehmel).
Sehr hilfreich für die historische Einordnung dieser speziellen Musikgattung ist übrigens in diesem Zusammenhang die Tabelle im Anhang des Buches mit einer Auflistung all derjenigen Werke, die bei anderen Komponisten im Kontext von Verlusterfahrungen entstanden sind (von Carl Philipp Emanuel Bach bis Anton Webern und Oskar Gottlieb Blarr).
Mag zu wünschen bleiben, das Vitalis’ Buch dazu beiträgt, die zu unrecht verdrängte Musik Pfitzners und seiner Generation wieder ins Bewußtsein zu rücken – besser: in die Konzertsäle zurückzuführen …
Reiner Schuhenn
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 188f.