Fischer-Dieskau, Dietrich: Goethe als Intendant. Theaterleidenschaft im klassischen Weimar. – München: dtv, 2006. – 495 S.: 32 Abb.
ISBN 978-3-423-24581-4 : € 16,50 (kt.)
Hier wird alles noch einmal von vorn bis hinten anders nacherzählt, was Kennern und Liebhabern ähnlich schon bekannt ist. Quellen werden kolportiert, aber nicht genannt. An manchen Stellen geht es mit verwirrender Detailfülle in die Tiefe, an anderen bleibt es erstaunlich oberflächlich. Unangenehm ist der Ton einer plaudernden Pseudonähe zum Gegenstand, zur jahrzehntelangen Theatertätigkeit Goethes. Fischer-Dieskau schreibt nicht aus historischer Distanz mit dem gebührenden Zweifel an den Überlieferungen, sondern als ob er ein Augen- und Ohrenzeuge gewesen wäre. Er steht, wie man es heute so gerne ist: mittendrin oder mindestens direkt nebenan und schaut einfach in Goethe hinein oder zumindest über die Schulter. Er traut allen autobiographischen Berichten und Zeugnissen anderer über den Weg und übernimmt indiskrete Mitteilungen wie bare Münze. Sogar die sonore Baßstimme Goethes im häuslichen Singekränzchen hat er noch im Ohr.
Was Goethe als Intendant, Schauspieler, Regisseur, Operndirektor für das Niveau des deutschen Theaters bei der Durchsetzung Shakespeares, Calderons, Schillers und Mozarts leistete, ist unbestritten. Dennoch ist es fraglich, ob man dieser Rolle Goethes in der deutschen Theatergeschichte heute einen Gefallen tut, wenn man sich leichtgläubig in das Weimarer musenhöfische Milieu dieser Zeit begibt und weiter an der Legende des Giganten und Stifters einer klassischen Periode bastelt. Bei aller Anerkennung von Goethes hervorragender Stellung, kann es nur seltsam berühren, wenn Fischer-Dieskau es für sachlich und literarisch angemessen hält, alle kursierenden modischen Epitheta der Goethe-Zeit für alle möglichen Personen, insbesondere für Goethe selbst, ungeniert in Anspruch zu nehmen und völlig unironisch als Weitererzähl-Stoff zu verwenden. Wieder mal feiert eine für überwunden gehaltene einschmeichelnde Intimbiographik fröhliche Urständ. Hier waltet eine peinliche Identifikation mit dem Genie Goethe, die leicht zu haben ist und niemanden zum kritischen Verständnis von Person und Zeit verhilft, sondern nur dazu, es sich im Kreise von Goethe behaglich zu machen.
Eine eklatante Schwäche dieser Hagiographie ist gerade die Behandlung von Goethes Stellung zur Musik und zum Musiktheater. Diesem Thema hätte, statt der episodisch verstreuten Einsprengsel, ein zusammenhängendes Kapitel gut getan. Die geschilderten und zitierten Eingriffe Goethes in die Libretti von Mozarts Don Giovanni und besonders der Zauberflöte lassen das Regietheater unserer Zeit als einen ziemlich alten Zopf überspannter Regisseure erscheinen. Die wie nebenbei und etwas kokett aufgeworfene, aber unbeantwortet gelassene Frage, ob Goethe musikalisch war, ließe sich nur beantworten, wenn man, im Gegensatz zu Fischer-Dieskau, auch nicht so naheliegende Äußerungen Goethes zur Musik, wie das bedeutende Stichwort „Musik“ in seinen „Anmerkungen über Personen und Gegenstände, deren in dem Dialog ‚Rameaus Neffe‘ [von Diderot] erwähnt wird“, zu Rate ziehen würde. Aber unabhängig von diesem Detail scheint ausgerechnet Diderot aus der Sicht Fischer-Dieskaus für den Theatermenschen Goethe überhaupt keine Bedeutung gehabt zu haben.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 177f.