Extraordinary Records / Hrsg. v. Colors Magazine. Vorw. v. Giorgio Moroder u. Alessandro Benedetti. – Honk Kong [u. a.]: Taschen, 2009. – 432 S.: kompl. illustr.
ISBN 978-3-8365-0729-5 : € 29,99 (Paperback)
Alessandro Benedetti und Peter Bastine sind Plattensammler. Seit den 1970er Jahren haben sie über 16.000 Tonträger zusammengetragen. Beeindruckend klingt das nicht, zugegeben. Doch Benedetti und Bastine haben es sich in einer Plattennische bequem gemacht: Sie horten Vinylscheiben, die nicht schwarz sind, denen im besten Fall sogar die spezifisch runde Form abgeht. Nun bekommt die genannte Zahl eine Kontur und man kann nur großartig nennen, was in der vorliegenden Auswahl geboten wird. Denn es bedarf keines Experten, um den materiellen und ideellen Wert dieser Schätze beurteilen zu können. Es reicht ein Gespür für Design und eine Vorstellung davon, wie sich die Sammlung Benedetti/Bastine vom herkömmlichen Plattenschrank unterscheidet.
Der gemeine Vinylliebhaber wird manche Picture Disc sein Eigen nennen. Als Aha-Effekt auf einer Ü-30-Platten-Party wird das ausreichend sein. Kümmerlich aber wirkt das vor der opulenten, geradezu barocken Selektion, die sich auf über 400 quadratischen Seiten (das 24 × 24 cm-Format erinnert nicht zufällig an Plattenhüllen) zwischen den beiden durchlöcherten und aufklappbaren Buchdeckeln bietet. Der dramaturgische Aufbau ist gekonnt: Zunächst wird der Betrachter mit einfarbigem Vinyl eingestimmt. Die Farbgebung kann naheliegend sein (wie beim White Album der Beatles) oder willkürlich. Durch die sehr gute Druckqualität wirken aber selbst 15 Rottöne hintereinander nicht ermüdend. Nach einem Abstecher in fluoreszierende und durchsichtige Gefilde sind mehrfarbige Scheiben an der Reihe – die Formen- und Farbvielfalt ist überwältigend. Es folgen lasergraviertes Vinyl und Shapes, Platten also, die in Herz-, Plektrum- oder Sägeblattoptik ausgestanzt wurden, aber immer abspielbar sind. Die Bilderflut schließt mit thematisch geordneten Picture Discs.
Klug sind auch die Variationen in der Darstellung. Mal nehmen einzelne Scheiben die komplette Seite ein, dann teilen sich zwei bis vier Platten diesen Platz. In vielen Fällen werden die Plattencovers den gepressten Rillen gegenübergestellt und verstärken so den künstlerischen Gestaltungswillen. Unterfüttert werden die Abbildungen durch produktionstechnische Angaben (Titel, Interpret, Medium, Jahr, Land, Label), fachkundige Kapiteleinleitungen und in Einzelfällen durch – die bei Taschen gewohnt raumgreifend dreisprachigen – Details zu Künstler und/oder Werk. Leider sind die letztgenannten Texte in ihrer Aussagekraft dem optischen Eindruck nicht immer ebenbürtig. Der Vollständigkeit halber wären Exemplare aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich in der Sammlung befinden sollen, aufschlussreich gewesen. Letztendlich ist es aber der verschwenderische Luxus, der überzeugt. Und die Ambivalenz überbordender Schönheit, die ihr Dasein größtenteils in weißen Papierhüllen fristet.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 275f.