Carl von Dittersdorf: Briefe, ausgewählte Urkunden und Akten / Gesammelt, hrsg. und komment. von Hubert Unverricht. – Tutzing: Hans Schneider, 2008. – 186 S.: 18 s/w-, 1 Farb-Abb. (Faks.) (Studien zur Musikwissenschaft ; 54)
ISBN 978-3-7952-1046-5 : € 58,00 (kart.)
Diese Ausgabe aller wichtigen Dokumente, die das Leben des Komponisten Carl Ditters von Dittersdorf (1739–1799; im folgenden: D.) betreffen, wird allen Musikbibliotheken unentbehrlich sein. Sie bietet ein interessantes, zuweilen entlarvendes, gegen Ende erschütterndes Portrait des Komponisten und seiner Zeit und eine notwendige Ergänzung zu seiner berühmten, mehrfach neu herausgegebenen Autobiographie von 1801.
Umso ärgerlicher ist es, dass die Ausgabe wesentliche Mängel aufweist, die ihre Benutzung deutlich erschweren – Mängel, die leicht vermeidbar gewesen wären und zu der Sorgfalt der texteditorischen Leistung des verdienstvollen Haydn- und D.-Forschers Hubert Unverricht merkwürdig quer stehen.
Zunächst: Dem Band fehlt ein Verzeichnis der Briefe, ihrer Verfasser und Empfänger. Jeder, der damit arbeitet, wird sich auf eigene Faust ein solches Verzeichnis anlegen müssen, sonst wird er den Überblick rasch verlieren. Denn der Herausgeber hat die an sich sinnvolle Methode gewählt, inhaltlich zusammenhängende Dokumente auch im Zusammenhang zu edieren, um „auch länger andauernde Sachvorgänge hintereinander lesen und unnötige Sucharbeit vermeiden zu können“ (Vorwort, S. xiv). Andererseits orientiert sich Unverricht dennoch im Großen an der Chronologie. Das Verfahren wird dadurch inpraktikabel. So findet sich der Briefwechsel D. s mit dem Wiener Musikverlag Artaria, die Publikation seiner Symphonien nach Ovids Metamorphosen betreffend, auf den Seiten 22 bis 36. Wer nun aber glaubt, damit alles über die Drucklegung dieses Zyklus zu wissen, sieht sich getäuscht, denn unvermutet setzt sich deren Geschichte fort (S. 58–68). Dass D. vom Breslauer Propst Johann Timotheus Hermes ein Darlehen zur Finanzierung des Drucks aufnahm, erfährt der interessierte Leser auf den Seiten 39–41. Schließlich finden sich auf den Seiten 84–90 weitere Schreiben D. s an Artaria, diesmal zu Quartetten. Das Resultat ist ein heilloses, durch mangelnde Querverweise verschärftes Durcheinander, das weder der chronologischen Sortierung (da auch Briefe seiner Söhne nach D. s Tod aufgenommen sind) noch dem sachlichen Zusammenhang wirklich gerecht wird.
Lässt sich dem, wie gesagt, durch Anlegen eines eigenen Verzeichnisses notdürftig abhelfen, so fehlt ein adäquater Kommentar ganz. Namen und Vorgänge bleiben fast durchweg unerörtert (hingegen erfährt man detailliert, wer diesen Brief wann und wo bereits ganz, teilweise oder im Faksimile veröffentlicht hat). Wer nicht tief in der D.‑Forschung steckt, wird hier oft genug vor Rätseln stehen.
Vollends bedenklich stimmen die zahlreichen Druckfehler, mit denen der Apparat gesegnet ist (einer der eklatantesten findet sich in der Überschrift eines Briefs von 1776 [S. 15–17], der natürlich nicht an den – damals gerade 11jährigen – „Nicolaus II. von Esterházy“, sondern an seinen Onkel Nikolaus I. gerichtet ist). Dass Unverricht für einen nur in einer Transkription von 1914 erhaltenen Brief die originale Orthographie D. s zu rekonstruieren versucht, entspricht wohl auch nicht dem editorischen Comme-il-faut der Gegenwart (S. 117–119). Im Ganzen ist dies ein Buch, von dem man sich eine im Sinne der Benutzerfreundlichkeit gründlich überarbeitete Zweitauflage wünschen würde.
Wolfgang Fuhrmann
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 255f.