Dömling, Wolfgang: Franz Liszt. – München: Beck, 2011. – 112 S. (C. H. Beck Wissen)
ISBN 978-3-406-61195-7 : 8,95 € (kart.)
Die in der Reihe „C. H. Beck Wissen“ erschienene Biographie Franz Liszts (1851-1919) des emeritierten Musikprofessors und Liszt-Experten Wolfgang Dömling fügt sich nahtlos ein in die Riege der knapp gehaltenen und doch erschöpfend diskursiven Komponisten-Monographien des Verlags (z. B. Franz Schubert, Gustav Mahler, Joseph Haydn, Robert Schumann). Dömling schafft es auf 104 reinen Textseiten (ohne Anhang) ein an Widersprüchen, Brüchen und Vielschichtigkeit reiches Lebensbild aus verschiedenen Perspektiven zu erfassen. Der Leser, der sich profund informieren möchte, ohne sich auf die Lektüre dicker Wälzer einlassen zu müssen, erfährt in sieben Kapiteln konzise und von großer Sachkenntnis geprägt, wie Liszt aufwuchs, wie er sozialisiert wurde, welchen künstlerischen Ansprüchen er sich verpflichtet fühlte und welche Bezüge einzelne Disziplinen (z. B. Aufführungspraxis, Musikpädagogik, Musikgeschichte, Kompositionslehre usw.) auf Liszt zu nehmen pflegen. Neue und neueste Forschungsergebnisse – das ergibt sich aus dem Vergleich mit parallel erschienener umfassend und streng wissenschaftlich ausgerichteter Liszt-Literatur – sind eingeflossen; dies sowie ein angenehmer, dem Leser gegenüber nie überheblicher Schreibduktus machen die Lektüre zu einer informativen und anregenden Erfahrung.
Dömling versteht es, schlüssig scheinbare Widersprüche herzuleiten und in einen größeren Kontext zu stellen. Gleichzeitig korrigiert er dabei liebgewordene Klischees und hartnäckig tradiertes Schubladendenken. Liszt konnte sich völlig selbstlos für andere Komponisten oder Künstler einsetzen und war doch ungemein eitel und huldigte nicht selten einer bisweilen bizarren Selbstdarstellung. Tiefe Frömmigkeit und religiöse Inbrunst gingen einher mit erotischen Eskapaden, der Womanizer Liszt ging bis ins hohe Alter kaum einer Romanze aus dem Weg. Pianistische Effekthascherei und Tastenzauber sind auch dem Fortschritt der Technik des Klavierbaus geschuldet und erklären dem Leser nachvollziehbar Liszts enorme Bedeutung für die Weiterentwicklung der Klavierkomposition. Empathie und Zugewandtsein anderen Menschen gegenüber stehen parallel neben der Unfähigkeit zu langfristiger Bindung und der emotionalen Hilfslosigkeit im Hinblick auf seine eigenen Kinder. Ausführlich gewürdigt wird Listzs Bedeutung für die „Zukunftsmusik“, und zwar nicht nur für die seiner unmittelbaren Parteigänger Wagner oder Bruckner, sondern vor allem für die Musik des 20. Jahrhunderts – Debussy, Ravel oder Skrjabin beispielsweise wären undenkbar gewesen ohne den gravierenden Einfluss Franz Listzs. Er war auch ein großer Europäer, ein Kosmopolit des 19. Jahrhunderts, der im Wortsinn den ganzen Kontinent gekannt und in alle Himmelsrichtungen bereist, für seine künstlerische Weiterentwicklung ausgelotet und kompositorisch eingefangen hat. Internationale Kontakte durch regen Briefverkehr bezeugen seine „Polyperspektivität“ (Dömling) und sind auch heute noch wegweisend für reflexiven Umgang mit dem Anderen. Sehr zu empfehlen!
Stuttgart, 14.07.2011
Claudia Niebel