Teresa Hrdlicka: Das kaiserliche Sommertheater in Bad Ischl. Operette und Oper unter Kaiser Franz Joseph I. [Andreas Vollberg]

Teresa Hrdlicka: Das kaiserliche Sommertheater in Bad Ischl. Operette und Oper unter Kaiser Franz Joseph I. – Wien: LIT, 2022. – 184 S.: Abb. (Geschichte/History ; 190)
ISBN 978-3-643-51122-5 : € 34,90 (geb.; auch als eBook)

Bad Ischl im Salzkammergut. Allein der Name blättert ein Bilderbuch an Assoziationen auf. Operettenfreaks etwa haben sofort die aus Wien angereisten Cliquen der Komponisten, Librettisten, Theaterdirektoren und Agenten vor Augen, die an der Traun unter lebhaften Debatten die neuesten Kreationen für die bevorstehende Theatersaison ausheckten. Doch gibt es dank Kaiser Franz Joseph I. und in Sachen Thalia weitaus mehr aus dem malerischen Solekurort zu berichten. Dies tat mit eleganter Feder, gründlicher Recherche und wunderbar strukturiert aufbereiteter Informationsfülle die, zuzüglich Studium von Romanistik und Cellospiel, in Wien promovierte Musikwissenschaftlerin Teresa Hrdlicka, Jahrgang 1959. Und da sie anerkannt über publizistische Meriten zur Wiener Operngeschichte verfügt, kann sie auf der Basis des prominenten Beispiels Bad Ischl einen kulturellen Austausch und zeithistorischen Kontext aufarbeiten, der weit über lokale Institutionsgeschichte hinausweist.

Im engeren Sinne geht es um Musiktheater innerhalb jener Ära, zu der Franz Joseph ab 1849 66 Jahre lang des Sommers vor Ort logierte und das räumlich auf Provinzmaß begrenzte Kurtheater eine Spitzenposition unter den k.u.k.-Sommerbühnen behauptete. Herzstück ist die Gattung Operette. In Paris kreiert unter Offenbach, fand sie ihre Heimstatt und international ausstrahlende Plattform in Wien. So wurde Ischl, bis 1906 noch ohne „Bad“, gleich anderen Provinz- und Kurstädten wie von selbst zu einer Filiale, an der die Highlights der Wintersaison einen Spiegel der donaustädtischen Operettenszene boten. Und infolge seines Stellenwerts als „sommerliches Zentrum der Monarchie schlechthin, wo die österreichisch-ungarisch-böhmische Hocharistokratie sich ebenso einfand wie gekrönte Häupter, hohe Militärs und die Künstlerelite“, schwört die Autorin schon im Vorwort ein auf „vielfältig-buntes Theater in rasantem Wechsel von Sprech- und Musikstücken“ (S. 2). Zentral gliedert sich die Historie chronologisch in neun Kapitel zu den jeweiligen Direktionen. Doch dieses scheinbar protokollarische Schema hat es in sich.

Zunächst gehört zum Gesundkurieren auch die Kultur. In diesem Sinne stockte der Wiener Arzt Franz Wirer seine medizinische Aufbauarbeit um das Geschenk von 3.000 Gulden plus ein Grundstück am Kreuzplatz auf. Gebaut wurde ein Theater mit 600 Plätzen, dessen Mehrkosten Ischler Bürger durch den Erwerb von Aktien deckten. Rasch nach der Eröffnung 1827 hofften Erzherzog Franz Karl und Gattin Sophie als Stammgäste, durch eine Therapie mit Ischler Quellwasser den vermissten Nachwuchs zu bekommen. Wie auch immer. 1830 zumindest kam als „Salzprinz“ jener spätere Kaiser Franz Joseph zur Welt. Bis 1848 verblieb das Theater im Besitz der Aktiengesellschaft, während unter kurzzeitigeren Direktionen neben Schauspiel, Posse und Spieloper auch großes Musiktheater wie ein Norma-Gastspiel des Linzer Ensembles im Beisein Kaiser Ferdinands I. Furore machte. Aus heutiger Sicht unvorstellbar wirkt der anfangs noch völlig volatile Spielplan: Das Theater öffnete nur an verregneten Abenden, denn bei Sonnenschein spielte die Kurkapelle unter freiem Himmel. Und trotz glorreicher Momente arbeitet die Autorin, die präzise Dokumentarisches und theatergeschichtlichen Hintergrund im lockeren Erzählton einer leserfreundlichen Regionalgeschichte präsentiert, auch das harte Los der Direktoren heraus. Mussten sie doch als Pächter neben anderen anspruchsvollen Vorbedingungen eine Kaution leisten und mit ihrem Privatvermögen haften. Hatte Josef Kotzky, der 1870 immerhin den jungen Alexander Girardi anwerben konnte, Glück, so sah sich der in Fachkreisen hochgelobte und mit zugkräftigen Stücken von Offenbach, Johann Strauß oder Charles Lecocq aufwartende Heinrich Jenke durch die fatalen Folgen des 1873-er Börsenkrachs gezwungen, 1878 das „kleine Hoftheater“ abzugeben. Und unter dem auch als Sänger agierenden und musiktheateraffinen Leopold Müller endete gar „durch dessen Verschulden“ (S. 42) 1882 die generationenlange organisatorische Einheit der Theater Salzburg und Ischl.

Sprechen lässt die Autorin einmal mehr ein pittoreskes Pressezitat, hier aus dem mehrheitlich vertretenen Ischler Wochenblatt, zum Ausputz von Stadt und alpiner Umgegend anlässlich des Kaisergeburtstags 1880 – wie jedes Jahr Höhepunkt der Saison. In der Folge tritt der Regent aus dieser Tradition oder zu diplomatischen Empfängen nachbarstaatlicher Hoheiten als Theatergast auf, bleibt personell dagegen eher ein Schemen, äußert sich meist lobend gegenüber der Direktion, lacht auch einmal wohlwollend über eine Panne.

Brachte eine Liaison der Theater Ischl und Linz unter Friedrich Dorn nicht den erhofften Effekt, folgte von 1885 bis 1903 eine Hochkonjunktur mit Erneuerungen, Prominenz und einem Repertoirepanorama bis hin zum Verismo und seriösen Schauspiel unter dem mittels eigener Agentur hervorragend vernetzten Ignaz Wild. Wie unterm Brennglas ist die Essenz der Wiener Operettengeschichte, vertreten durch heute noch gängige (Suppé, Millöcker, Ziehrer) wie auch längst vergessene Namen, abzulesen. In verdichteter Frequenz verwebt Hrdlicka Ischler Lokalereignisse organisch mit stil- und genregeschichtlichen Werkerläuterungen. Kuriosa wie Eintrittsermäßigungen für Radfahrer, die das adlige und großbürgerliche Kurpublikum verschreckten, bleiben nicht aus. Auch die nächsten Prinzipale Karl Door und Erich Müller versammelten Wiener Spitzenkräfte (darunter Adele Sandrock mit einem Debakel im fremden Opernfach und die intime Kaiserfreundin Katharina Schratt), flankiert von einem bunten Ensemble aus Theaterstädten von Linz über Preßburg und Brünn bis Berlin und Hamburg. 1904 erstrahlte erstmals elektrisches Licht, 1905 verzeichnete einen Boom mit allein 26 verschiedenen Operetten. Von selbst versteht sich, dass mit der Lustigen Witwe bald darauf auch Bad Ischl vom Franz-Lehár-Fieber infiziert wurde. Der Meister selbst und seine Mitstreiter Oscar Straus, Leo Fall, im Nachgang Emmerich Kálmán, residierten in ihren Ischler Villen und prägten die „silberne Operettenära“ mit kommerziellen Erfolgen nie dagewesenen Ausmaßes. Weltstar Lilli Lehmann sang vor 800 Zuhörenden, und der junge Anton Webern hatte „‘einen großen Ekel vor der ganzen Sache‘“ (S. 120), wenn er Strauß oder Straus zu dirigieren hatte. Kurz amtierte Erich Müller allein, bevor sich Ischls Bühne unter dem profilierten, für Künstlerbelange sozial engagierten Bühnenpraktiker Ludwig Stärk auch während der Kriegsjahre aufrechthielt. Doch 1916 stirbt der Kaiser, symbolisch auch schon die Monarchie, Stärk demissioniert 1917. Was von der Glanzzeit bleibt, sind bescheidene Nachklänge.

Ernüchternde Fakten betrüben auch das Intro eines „Ausklangs“. Jüdische Künstler wie den 1943 in Theresienstadt umgekommenen Uraufführungs-Danilo Louis Treumann trifft der Bannstrahl des NS-Regimes. Lichtblicke stimmen dagegen hoffnungsfroh. Ist im Bau am Kreuzplatz längst ein Kino untergebracht, so verwandelte sich das Kurhaus zum Theater und pflegt musikalisch seit 1961 den Genius loci mit dem verdienstvollen Lehár-Festival. Verdienstvoll bietet auch ein Anhang wertvolle Statistik für Theaterforschende: Besetzungen erster Rollen in Operette und Oper von 1874 bis 1916, eine Chronik der Operetten-Erstaufführungen ab 1874 sowie ein Verzeichnis der Quellen und vielfältiger Literatur von 1850 bis 2019.

Andreas Vollberg
Köln, 20.08.2023

Dieser Beitrag wurde unter Fall, Leo (1873-1925), Franz Joseph I. (Kaiser), Girardi, Alexander (1850–1918), Kálmán, Emmerich (1882-1953), Lecocq, Charles (1832–1918), Lehár, Franz (1870-1948), Lehmann, Lilli (1848–1929), Millöcker, Carl (1848-1899), Offenbach, Jacques (1819-1880), Operette, Rezension, Sandrock, Adele (1863–1937), Schratt, Katharina (1853–1940), Strauß, Johann (1825-1899), Straus, Oscar (1870-1954), Suppé, Franz von (1819-1895), Webern, Anton (1883-1945), Ziehrer, Carl Michael (1843-1922) abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

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