Ott, Karl-Heinz: Tumult und Grazie. Über Georg Friedrich Händel. – Hamburg: Hoffmann und Campe, 2008. – 318 S.
ISBN 978-3-455-50091-2 : € 22.00 (geb.)
Ein tumultuöses Buch, das oft der Grazie entbehrt und sich von zwei fixen Ideen her immer wieder verleiten lässt, übers selbst gesteckte Ziel hinaus zu schießen. Das Ziel mochte sein, ein literarisch genialisch hingeworfenes, aber auch möglichst populäres Buch über Händel zu schreiben, durch das etwas zurecht gerückt wird, das vorher durch eine schlechte Tradition verrutscht war. Das Schlechte, gegen das Don QuichOtt wie gegen imaginäre Windmühlen ständig ankämpft, ist erstens die klassisch-romantische Aufführungsweise der Werke Händels in den Dezennien vor der historisch informierten Musizierpraxis und zweitens eine blasierte Ablehnung Händels durch das kunstrichterliche Urteil von Musikprofessoren, allen voran dem des Schwarzweißmalers Adorno. Insofern kommt das Buch einfach dreißig Jahre zu spät und Ott einem vor wie jemand, der seine eigene Erziehung in diesem nun verfluchten Geiste, seine frühere, musikästhetisch motivierte Ablehnung Händels, verspätet abarbeiten muss. Wie sehr beides zusammenhängt, nämlich wie die schwere und bombastische Aufführungsart Händelscher Werke bis ca. 1960 auch und gerade die Abneigung gegen Händel bei solchen Leuten wie Adorno hervorgerufen haben könnte (der ja selbst nicht gerade durch eine besonders große historische Repertoirekenntnis auffiel, sondern nur den äußerst verengten Blick auf die deutsche Musikgeschichte hatte), kommt bei Ott nicht in den Blick.
Auch der geheime Wunsch jedes Rezensenten, dass es einmal ein populär geschriebenes Buch über einen Komponisten geben möge, in dem einmal wenigstens das Gerüst der Fakten wirklich stimmt, ist hier (nachdem es Martin Geck mit seinem Mozart-Buch kürzlich einmal gelang) nicht in Erfüllung gegangen. Leider wimmelt es von kleinen und großen Fehlern und Irrtümern, was bei einem Autor, der Musikwissenschaft und Philosophie studiert hat, einerseits erstaunt, andererseits wohl auch einer Flüchtigkeit geschuldet sein dürfte, was auch auf ein schludriges Lektorat schließen lässt.
Was dieses Buch trotzdem wertvoll macht, ist seine unvergleichlich einprägsame und historisch fundierte Art, mit Hilfe poetischer Musikbeschreibung (die allerdings selbst wiederum manchmal etwas abgedroschen wirkt) und kulturgeschichtlicher Assoziationen, ein Bild des sinnenfreudigen Barock und seiner besonders ungezähmten, ja geradezu chaotischen Ausprägung bei Händel zu geben. Es versetzt den Leser direkt hinein in die Kämpfe, die Händel speziell für eine ausdrucksstarke Bühnenmusik führte. Und insofern fasst dieses dem Zeitgeist verpflichtete Buch sehr gut in Worte, was der heutige diesseitsorientierte Erdenbürger mit Händel emphatisch verknüpft.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 249f.