Geck, Martin: Wenn der Buckelwal in die Oper geht: 33 Variationen über die Wunder klassischer Musik. – München: Siedler, 2009. – 224 S.: zahlr. Ill.
ISBN 978-3-406-88680-896-0 : € 19,95 (geb.)
Eins kann man verraten, ohne dem Buch die Pointe zu rauben: Wir alle sind irgendwie Buckelwale. Na gut! Aber was der Titel sonst vorstellen soll, ist rätselhaft. Ich habe spontan auf eine Operneinführung für Kinder getippt. Doch schon der Untertitel lenkt wenigstens in eine treffendere Richtung. Der Autor ist Professor für Musikwissenschaften und bietet hier seine langjährige Erfahrung auch als Autor an, mit ihm auf eine Lesereise für das Erleben von Musik zu gehen. Frei von einer speziellen wissenschaftlichen Thematik, aber doch entsprechend fundiert. Die Reise bewegt sich im Rahmen deutscher „klassischer“ Musik ca. von Schütz bis Schönberg (ein Werkregister macht gezieltes Aufsuchen möglich), hinzu kommen einige grundsätzliche Ansätze über Musik bei Naturvölkern und eben auch bei Tieren. Folgen kann dem Autor bei ausgeklügelter, aber gut verständlicher Sprache jeder Laie, der schon erweiterte Kenntnisse und Hörerfahrungen hat. Grundlegende Begriffe, Namen und Kompositionen werden selten näher erklärt.
Der Einstieg ist etwas mühsam, weil nicht recht klar ist, wohin es gehen soll. Aber bald merkt man, daß keine Route verfolgt wird, sondern in 33 recht kurzen Kapiteln ein weites Netz von Verbindungen und Unterschieden in dieser Welt der Musik gesponnen wird, das einen neuen Überblick ermöglicht. Viele Komponisten und Schlüsselwerke kommen vor, einige werden dabei wiederholt unter jeweils anderem Aspekt betrachtet – vielleicht daher der Begriff „Variationen“. Beispiele für diese Aspekte mag ich kaum geben, denn die gehören zu den Überraschungserlebnissen der Reise. Ein Schwerpunkt ist auszumachen, in wie weit Analysen, Strukturierungen, Einordnungen von Musik zu ihrem Erleben helfen. Man kann das ganze Buch als ein Beispiel dafür sehen, wie durch vereinte Kenntnis von Zeitgeschichte, Biographien, Zitaten, Anekdoten bis zu Harmonielehre, feinere und tiefere Erlebnisse – Wunder? – beim Musizieren oder Hören entstehen können.
Ein gewisser Narzissmus läßt sich bei Herrn Geck vielleicht diagnostizieren, wenn er eine so umfassende Kenntnis ausbreitet, wie man sie wohl selten voraussetzen kann. Aber warum soll man die Möglichkeit deshalb nicht nutzen, sich dem einmal anzuvertrauen und eventuell davon zu profitieren? Das Buch liest sich je länger desto leichter, Sieh-da-Erlebnisse gibt es viele, und wenn man mal nicht folgen kann oder will, ist das nächste Kapitel nicht weit. Vielleicht bleiben einige Gedankengänge bis zum nächsten Konzertbesuch sogar für eigene Inhalte frei.
Eine tatsächliche Prise Humor des Buches sind immer wieder eingestreute Zeichnungen, die den ernsthaften Text überraschend witzig ironisieren, über die aber nirgends etwas erwähnt wird. Sollte der Autor auch hierfür verantwortlich zeichnen: Hut ab!
Sebastian Kaindl
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 267f.