Marx, Hans Joachim: Händel und seine Zeitgenossen. Eine biographische Enzyklopädie. 2 Teilbände. – Laaber: Laaber, 2008. – 1.125 S.: Abb. (Das Händel-Handbuch ; 1)
ISBN 978-3-89007-685-0 : € 178,00 (geb.)
Es gibt gute Gründe, dem in der Musikwissenschaft grassierenden Handbuch-Wesen mit Skepsis zu begegnen. Denn statt dem Leser die Synthese der zunehmend sich atomisierenden Informationen zu bieten und einen aktuellen Erkenntnisstand zu sichern, werden ihm häufig bloß Kaleidoskope vor Augen gehalten, durch die er Blicke auf den emsig wuselnden Forschungsbetrieb werfen kann. Geradezu eine Wohltat bereitet vor diesem Hintergrund die zweiteilige Eröffnungsausgabe des Händel-Handbuchs, die dessen Generalherausgeber Hans Joachim Marx erarbeitet hat. Ergebnis lebenslanger Studien seines Autors, gibt dieses voluminöse Zeugnis ebenso umfassender wie tiefdringender biographischer Untersuchungen im Umfeld Händels den Kennern und Liebhabern ein unschätzbares Hilfsmittel an die Hand. In nicht weniger als 682 Artikeln, illustriert durch 217 Abbildungen (viele davon in Farbe), würdigt Marx alle Personen, die Händel persönlich gekannt hat oder deren Beziehungen zu ihm dokumentarisch belegt sind – angefangen bei dem Tänzer, Choreographen und Tanzmeister Anthony L’Abbé, endend bei dem Sänger und Gambisten Angelo Maria Zanoni. Dabei werden die Persönlichkeiten jeweils aus der doppelten Perspektive Händels und seines Gegenübers in den Blick genommen, so daß etwa im Falle Johann Sebastian Bachs nach dessen Bedeutung für den Hallenser gefragt wird (sie war offensichtlich gering), aber auch umgekehrt das Interesse Bachs an der Musik seines Kollegen ausführlich zur Sprache kommt. Gerade an diesem prominenten Beispiel lassen sich die insgesamt zu Tage tretenden Qualitäten des Handbuchs deutlich erkennen. Marx kompiliert nämlich nicht lediglich die reichlich vorhandenen Auslassungen der Sekundärliteratur– eine kritische Auswahl an Titeln beschließt jeden Artikel –, sondern erstellt Sachverhalte nüchtern dar, erörtert und würdigt sie mit Gelassenheit, wobei er oft genug (so auch im Bach-Artikel) Anstöße für künftige Forschungen gibt oder sogar neue Funde präsentiert. Ob die auf S. 147 erstmals abgebildete Pastellzeichnung eines unbekannten Malers, die sich in Hamburger Privatbesitz befindet, tatsächlich Johann Sebastian Bach darstellt? Auf die Diskussion dieser Frage unter den Spezialisten darf man gespannt sein.
Dem Corpus der Artikel stellt Marx eine umfangreiche Einleitung voran, in der er Händels Stellung in der höfischen Gesellschaft, sein Unternehmertum im Verhältnis zur Öffentlichkeit, aber auch den Privatmann Händel sowie sein mögliches Selbstverständnis behandelt. Kein Thema bleibt unberührt, auch nicht das jüngst aufgeworfene der angeblichen Homosexualität Händels – Marx führt überzeugende Argumente gegen diese These an. Im Anhang des Bandes finden sich neben Verzeichnissen und Registern noch Genealogien der Familie Händels und des Hauses Hannover, schließlich ein von 1711 bis 1759 reichendes Kalendarium der Londoner Aufführungen des Komponisten. Marx ist mit seiner biographischen Enzyklopädie ein hervorragendes Kompendium geglückt, das sich würdig an die Reihe der dokumentarischen wie werkbibliographischen Nachschlagewerke Otto Erich Deutschs und Bernd Baselts anschließt.
Ulrich Konrad
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 248f.