Danuta Gwizdalanka: Der „weibliche Vulcan“. Die Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska / Aus dem Poln. von Peter Oliver Loew. – Wiesbaden: Harrassowitz, 2023. – 176 S.: 25 s/w Abb. (Polnische Profile 15)
ISBN 978-3-447-11913-9 : € 19,80 (kart., auch als eBook)
Die Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska (1789–1831) wurde als siebtes von zehn Kindern in Warschau geboren. Ihr Vater Franciszek Wołowski stammte aus einer jüdischen Familie und war zum katholischen Glauben übergetreten, ihre Mutter – Barbara Lanckorońska – war adelig. Wie in der Zeit üblich erhielten sie und ihre Geschwister Klavierunterricht. Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Warschau – aufgrund der politischen Verhältnisse – keine bedeutenden Musikerpersönlichkeiten. So erhielt Maria Szymanowska bei lokalen Klavierspielern Unterricht. Darüber hinaus nutzte die sie jede Möglichkeit, bei in Warschau konzertierenden Musikern zu studieren, wie beispielsweise 1819 bei Franz Xaver Mozart. Sie reiste sogar zu ihm nach Dresden, um bei ihm einige Klavierstunden zu erhalten.
Erste öffentliche Konzerte in Warschau und Paris gab die Künstlerin bereits 1810. Im selben Jahr heiratete sie den Landgutbesitzer Józef Szymanowski, mit dem sie drei Kinder bekam. Da ihr Mann wenig Verständnis für ihre musikalischen Tätigkeiten zeigte – es folgten Auftritte in Dresden, Wien und London – ließ sie sich 1820 von ihm scheiden. Ab 1822 unternahm sie umfangreiche Konzerttourneen und beschloss 1827, nach St. Petersburg umzusiedeln. Hier unterrichtete sie am Zarenhof und gab weiterhin Konzerte. Maria Szymanowska führte ein „offenes Haus“, in dem sich die Petersburger Society traf. 1831 starb sie mit nur 41 Jahren an einer Cholerainfektion verbunden mit einem Gehirnschlag.
Welchen Eindruck sie bei Johann Wolfgang Goethe hinterließ, schildert dieser anlässlich ihres Erscheinens in Paris in einem Schreiben an Alexander von Humboldt: „so sende ich Ihnen einen weiblichen Vulcan, der alles vollends versengt und verbrennt, was noch übrig ist“. Diese Aussage des Dichters charakterisiert die Pianistin. Als Ausdruck seiner Verehrung widmet er ihr das Gedicht „Aussöhnung“, das er in seiner „Trilogie der Leidenschaften“ veröffentlichte, die als „Höhepunkt der deutschen romantischen Lyrik“ (S. 73) betrachtet werden kann.
Nicht nur der Dichterfürst schilderte literarisch seine Bewunderung der Pianistin, sondern auch der polnische Dichter Adam Mickiewicz. Er nannte sie die „Königin der Töne“ und widmete ihr ebenfalls ein Gedicht für ihr Stammbuch. Die Bewunderung war nicht einseitig, denn Maria Szymanowska vertonte wiederum Texte ihres Landsmannes, die ein Freund des Dichters wie folgt beschrieb: „Mir scheint, das auf dieser Welt keine anderen Noten zu ihnen passen würden, so einträchtig, so wunderbar, so angenehm passen sie zum Charakter der Dichtung selbst.“ (S. 155). Auf diese Weise ging der Name Szymanowska mit ein in die Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Die Freundschaft zwischen Maria Szymanowska und Goethe ist allerdings mit vielen Mythen behaftet, mit denen sich die Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka kritisch auseinandersetzt, denn im Leben der Künstlerin stellt sie nur eine Begegnung dar.
Die Autorin (Sie verfasste u.a. Musikerbiographien über Karol Szymanowski – es handelt sich dabei um keinen Verwandten – Mieczysław Weinberg und Witold Lutosławski und führte 2001 mit „Muzyka i płeć“ [Musik und Geschlecht] in der polnischen Musikliteratur das Genderkonzept ein) beschäftigt sich auch ausführlich mit anderen Legenden. Beispielsweise wurde aufgrund der zahlreichen Eintragungen berühmter Künstler in das Stammbuch der Pianistin vermutet, dass sie noch viel mehr reiste. Neuere Recherchen belegen dagegen, dass es sich teilweise um erbetene Eintragungen handelte.
In der Einleitung der Biographie weist die Autorin auf die besondere Stellung Maria Szymanowskas hin, die sie in der damaligen Zeit als professionell musizierende reisende Frau einnahm, denn als sie sich im Alter von ca. 30 Jahren von ihrem Ehemann trennte, entschloss sie sich, das Leben einer freien Künstlerin zu führen. Sie hatte sich diesen Beruf selbst bewusst ausgesucht. Das war Anfang des 19. Jh. ungewöhnlich für eine Frau, denn in der Zeit waren Frauen – mit Ausnahme von Sängerinnen – selten Berufsmusikerinnen. Hier beschreibt Gwizdalanka ausführlich die Rechte und Pflichten der Frauen, deren Bestimmung es damals war, sich um die Familie zu kümmern. Das Besondere bei Szymanowska war, dass sie weder aus einer Musikerfamilie stammte noch die Gattin eines Musikers war. Da sie sich von ihrem Ehemann getrennt hatte, konzertierte sie unter dem Vorwand, ihre Kinder finanziell absichern zu müssen. Diese „Ausrede“ benötigte sie als Frau – ihre Kinder lebten eigentlich auf dem Gut des Exmannes – um gesellschaftlich in der Rolle als reisende Künstlerin akzeptiert zu sein. Möglicherweise reizte es sie aber in Wirklichkeit, das Leben einer umjubelten Pianistin zu feiern, die Welt zu sehen, wie es in der Zeit für Männer unbeschränkt möglich war, denn sie bereiste nicht nur die damals wichtigsten Musikmetropolen Europas wie beispielsweise Paris, London und St. Petersburg, sondern es zog sie auch bis nach Neapel.
Jeder Lebensabschnitt der Künstlerin und ihr Wirken stehen im Kontext der Geschichte und der Gesellschaft in ihrer Zeit; das inspiriert zum Weiterlesen in anderen Quellen. Neben der Information, dass die Künstlerin aus einer jüdisch-frankistischen Familie stammt, finden sich beispielsweise interessante Einsichten über das Entstehen und die Lebensweisen der Frankisten.
Ausführlich sind die großen Konzertreisen der Pianistin beschrieben, die sie ab 1822 zunächst nach Russland führten, wo sie vor dem Zaren spielte. Dort wurde sie von den Zarinnen Maria Fjodorowna (1759–1828) und Jelisawjeta Aleksejewna (1779–1826) mit dem Hoftitel ausgezeichnet und hatte das Recht, sich „Erste Fortepianistin Ihrer Kaiserlichen Hoheit“ zu nennen. Der Ehrentitel öffnete ihr die Salons der Monarchen in ganz Europa. Stets stand sie in allen Metropolen, in denen sie konzertierte, im Zentrum der gesellschaftlichen Anerkennung.
Durch die Erfolge in Russland motiviert folgten Reisen über Deutschland, Paris nach London. Auch hier beschreibt die Autorin parallel ausführlich das Musikleben in den verschiedenen Metropolen und zeigt die verschiedensten gesellschaftlichen Hintergründe auf. Beispielsweise erfahren wir geschichtliche Hintergründe zum Entstehen des Musiklebens in London und u.a. etwas über die polnischen Verhältnisse Anfang des 19. Jahrhunderts, sowohl auf politischer als auch kultureller Ebene. Wer in Warschau als Musiker leben wollte, musste aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen viel arbeiten bei geringem Verdienst. Dieser Fakt bewog Maria Szymanowska, 1827 nach St. Petersburg überzusiedeln, wo sie aufgrund ihres Ruhmes an bestehende Kontakte anknüpfen konnte.
Maria Szymanowska war nicht nur Pianistin, sondern sie komponierte auch. Zu ihren Werken zählen in erster Linie Klavierminiaturen und Lieder. Für die Beliebtheit ihrer Werke in der damaligen Gesellschaft spricht, dass sie schon zu Lebzeiten verlegt wurden, beispielsweise von Peters, Breitkopf und Hanry, es zeugt aber von der Geschäftstüchtigkeit der Pianistin. Hier geht die Autorin explizit auf ihre Werke ein und beschreibt den gesellschaftlichen Hintergrund für deren Entstehung im Kontext des gebräuchlichen Repertoires Anfang des 19. Jahrhunderts.
Fazit: Es ist eine gut zu lesende interessante Biographie, die zu weiterem Recherchieren animiert. Die Gliederung ist gut gewählt, da anhand ihrer schnell bestimmte Fakten jederzeit wieder auffindbar sind. Im Anhang findet man Informationen zur Familie der Künstlerin nebst eines Personenverzeichnisses.
Jutta Heise
Hannover, 28.08.2023