Carolin Pirich: Das Vorspiel. Begegnungen mit Musik in 15 Variationen. – Berlin: Berenberg, 2023. – 271 S.
ISBN 978-3-949203-52-7 : € 20,00 (kart.; auch als eBook)
Der jüngst erschienene Band von Carolin Pirich lädt ein zum Innehalten, eine Art Fermate. Aber wie Joana Mallwitz uns verrät, im Italienischen heißt die Fermate – „Corona“. Die Corona-Pandemie als krasser Einschnitt für viele MusikerInnen spielt in mehreren Geschichten des Bandes eine große Rolle. Igor Strawinskys Zitat „Die Musik ist der einzige Bereich, in dem der Mensch die Gegenwart realisiert“ ist dem Band als Motto vorangestellt.
Pirich antwortet selbst auf die Frage, was dieses Buch ist: „Es ist eine Sammlung von Versuchen, der Musik nahezukommen.“ (S. 23) Die Texte wurden zwischen 2011 und 2023 geschrieben, manche neu für den vorliegenden Band, andere für verschiedene Printmedien wie Die ZEIT oder das SZ Magazin. Sie sind laut Untertitel „Begegnungen mit Musik in 15 Variationen“.
Die Autorin ist studierte Musikwissenschaftlerin, Moderatorin und Musikjournalistin, sie schreibt Texte u.a. für SZ Magazin, Spiegel, Die ZEIT und ist beim rbb und WDR zu hören. Der Text „Das Konzert“ (zunächst erschienen im SZ Magazin 12.11.2021) fungiert als Klammer und rahmt die anderen Geschichten ein. Die Autorin versucht sich mitten in der Corona-Pandemie als Konzertveranstalterin und beschreibt humorvoll ihre Schwierigkeiten dabei. Der erste Teil endet mit einem Cliffhanger: wird das Konzert trotz aller Widrigkeiten stattfinden können?
In den folgenden Texten porträtiert Pirich berühmte Persönlichkeiten wie David Garrett, der um Anerkennung ringt und seinen Weg sucht zwischen Kunst und Kommerz oder Igor Levit, den sie über ein Jahr lang begleitet hat. Sie schreibt u.a. auch über Dirigentin Joana Mallwitz und ihre in der Pandemie entstandenen Expeditionskonzerte, bei denen die Dirigentin gemeinsam mit dem Orchester ein Werk in Teilen vorstellt und bespricht. Andere ProtagonistInnen sind weniger bekannt, wie die jungen Kontrabassisten beim Orchestervorspiel oder der Platzanweiser in der Oper.
Pirichs Texte lesen sich flüssig, haben Tiefgang, ohne abgehoben zu sein. Es handelt sich nicht um fiktive Erzählungen, sondern sie sind das Ergebnis ihrer journalistischen Arbeit, basierend auf Gesprächen und konkret erlebten Situationen. Sie beschreibt viele verschiedene Facetten des Musikbetriebs, wie die Reaktionen auf den Ukrainekrieg im Konzertwesen, die Programmänderungen und der Umgang mit russischen KomponistInnen und InterpretInnen. Im „Klassischen Krimi“ (S. 183) fiebern wir mit Anthea Kreston, (ehemals) Geigerin beim Artemis Quartett, mit, ob das im Zug gestohlene Instrument wieder zu ihr zurückkommen wird. Durch die einfühlsame Sprache schafft Pirich es, ganz nah an ihre Protagonisten heranzukommen und ihre LeserInnen mitzunehmen. Pirich übersetzt Töne (und die Stille dazwischen wie in „Die dunkle Seite der Sonate“ S. 248) in Texte.
Die Geschichten kreisen um die Beziehung von Menschen zur Musik, ob als Publikum oder als Beruf, hinter den Kulissen oder auf der Bühne. Vieles ist sehr autobiografisch geprägt, wenn es beispielsweise um Pirichs Studentenjob bei einem auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensemble geht („Machine for Contacting the Dead“ S. 140) oder um das zwiegespaltene Verhältnis der Autorin zum Klavierspiel („Vom Mut, zu viel zu sein“ S. 66). Sie referiert aber nicht nur eigene Erfahrungen, sondern findet darüber reflektierend Anknüpfungspunkte, die übergeordnete Themen berühren. So bleibt es nicht beim Bericht über den Klavierkauf mitten in der Pandemie, sondern sie beleuchtet das Verhältnis von Interpret zum Musikwerk. Pirich schreibt über die Beweggründe ihrer Entscheidung, das Klavierspielen nicht zum Beruf zu machen und die sehr persönliche Einsicht, dass der Interpret beim Musizieren viel von sich selbst preisgibt.
Der Band ist unbedingt lesenswert und wird nicht nur Klassik-LiebhaberInnen gefallen.
Barbara Schmidt
12.05.2023