Michael Behrendt: Mein Herz hat Sonnenbrand. Über schiefe bis irrwitzige Songtexte aus 60 Jahren deutscher Popmusik – Ditzingen: Reclam, 2023.– 233 S.
ISBN 978-3-15-011434-6 : € 20,00 (geb.; auch als eBook)
Eines vorweg: Wer sich in schriftlicher Form mit den sprachlichen Unzulänglichkeiten von Musikern, Textdichtern und Song-Lyrikern beschäftigt, braucht Mut. Und Selbstvertrauen. Und vor allem ein gehöriges Maß an Textkompetenz. Noch eines vorweg: Michael Behrendt hat all diese Eigenschaften.
Denn schließlich wäre es ausgesprochen uncharmant, sich über ein durch Sonnenstrahlen verbranntes Herz auszulassen, wenn die eigenen literarischen Fähigkeiten einem ähnlich eingeschränkten Vokabular und Formulierungswillen entstammten. So aber können die Leserinnen und Leser dem Autor genüsslich auf seinem Streifzug durch eine seit Jahrzehnten wild beackerte popkulturelle Sprachlandschaft folgen.
Der Sprach- und Literaturwissenschaftler Michael Behrendt, mit langer Erfahrung als Autor, Journalist und Redakteur tätig, hat sich nicht zum ersten Mal mit Lyrics aus Rock und Pop beschäftigt. 2017 ging er in I don’t like Mondays Songmissverständnissen auf den Grund und zwei Jahre später folgte mit Provokation eine Untersuchung von Liedern, die die Gesellschaft auf unterschiedliche Weise verstört oder empört haben. Mit Mein Herz hat Sonnenbrand wendet sich der Autor nun explizit dem deutschen Schlager-, Pop- und Rock-Schaffen zu. Dass er aus Vergleichsgründen bisweilen auch angloamerikanische Musik anführt oder englische Texte deutschsprachiger Künstlerinnen und Künstler bespricht, ist eher als bereichernd denn als inkonsequent zu betrachten. Formal hat sich Behrendt gegen eine bloße Aufzählung der krudesten, peinlichsten oder lustigsten Songzeilen entschieden, die Fall für Fall in ihren historischen und kulturellen Kontext gebettet werden. Stattdessen gliedert der Autor seinen Text in zwei Großkapitel. In dem ersten kommen unterschiedliche Kategorien kritikwürdiger Lyrics (z. B. Grammatik, Manierismen, Fremdsprachen, Sexismus, Storytelling) zur Sprache. Mit den „Helden der Extrempoesie“ (S. 133) knüpft sich Behrendt im zweiten Teil dagegen eine Reihe prominenter (tatsächlich nur männlicher) Künstler wie Peter Maffay, Herbert Grönemeyer und die Toten Hosen vor.
Eine Stärke der Untersuchung liegt in Michael Behrendts beruflichen Fähigkeiten als Lektor und Autor gleichermaßen. In der einen Funktion bewertet er Texte hinsichtlich ihrer Qualität und Zielgruppeneignung. Als Autor muss er selbst den Sachverhalt so formulieren, dass er seinen eigenen Anforderungen und denen des Publikums gerecht wird. Dies gelingt ihm durchweg in fast allen Fällen. Hat man Lieder wie Siebzehn Jahr, blondes Haar auch schon hundertmal gehört, so kann man Behrendts kurzen Analyse sofort zustimmen, dass auch in einem solchen Klassiker unklares Storytelling und zweifelhafte Botschaften versteckt sind (S. 74f). Hin und wieder scheint es, der Autor ginge zu streng mit den Songwritern um. Wolfgang Petrys Wahnsinn mag man kritisch gegenüberstehen, denkt man an die häufig alkoholbeeinflusste Rezeption in Bierzelten und Faschingssitzungen. Dass die an die Alltagssprache angepassten Formulierungen und Sprachbilder, die – auch das sollte man nicht vergessen – auf eine psychische Stresssituation (Liebeskummer) zurückzuführen sind, ein Grund zum Fremdschämen sind, kann jedoch nicht behauptet werden. Natürlich reagieren sprachsensible Menschen auf grammatikalische Unsinnigkeiten oder überambitionierte Formulierungsanstrengungen kritisch. Michael Behrendt aber hinterfragt selten die Gründe (z. B. Reim- oder Metrumzwänge bei fehlenden Wortendungen), noch legt er dar, warum gerade Poplyriker sich der Sprachreinheit verpflichtet fühlen sollten. Schließlich folgen sie oftmals dem allgemeinen, zumindest in ihrer Zielgruppe vorherrschenden Sprachduktus. Man hätte sich an diesen Stellen eine differenziertere Bewertung durchaus vorstellen können. Dem Autor, der sich selbst auch als Liebhaber sieht und große Wertschätzung für die meisten Künstlerinnen und Künstler zeigt, geht es aber eher um die seiner Meinung nach fehlende Geduld und nachlässige Arbeitsweise beim Texten, bei der auch auf Kleinigkeiten geachtet werden solle. Herbert Grönemeyer fordert in einem am 24. März 2023 im SZ Magazin erschienenen Artikel genau diesen „Arbeiter-Ethos“. Der Sänger zitiert seinen Vater, der auf seine Ankündigung einer neuen Platte gesagt habe: „(…) ja, Herbert, aber die Texte … gib dir Mühe! Die Leute wollen vernünftige Texte hören“ (S. 17). Dass Grönemeyer diesen Anspruch nicht immer selbst erfüllt – weshalb Behrendt ihm auch ein eigenes Unterkapitel in seinem Buch widmet – gibt der Sänger in dem genannten Artikel selbst zu: „Ich habe mal ein Lied geschrieben (…). Das ist schon ganz stulle. Aber ich brauchte damals einfach einen Reim, damit die nächste Zeile passt“ (S. 18).
Es sagt viel über die positive und versöhnliche Geisteshaltung aus, mit der Michael Behrendt an sein Werk gegangen ist, dass er den besprochenen Künstlerinnen und Künstlern gegenüber nie gehässig wird. Er würdigt die musikalische Qualität vieler Lieder und erkennt deren Wirkung auf Teile der Gesellschaft an. So liest man sich mit großem Vergnügen durch die Betrachtungen, erfreut sich an den überraschenden und inspirierenden Formulierungen des Autors, schmunzelt über sprachliche Fehltritte und ist sich doch sicher, bei nächster Gelegenheit gerade diese lauthals zu intonieren.
Hier findet man die Spotify-Playlist zum Buch zum Mithören und Mitsingen: Zur Playlist
Michael Stapper
München, 15.07.2023