Tobias Bonz: Instrumentaler Musikunterricht als Teil allgemeiner Schulbildung. Das Pforzheimer Pädagogium und sein innovatives Schulmodell im ausgehenden 18. Jahrhundert. – Heidelberg: J. B. Metzler, 2021. – 438 S.: s/w-Abb., Ill., Tab. (Musik in Baden-Württemberg. Quellen und Studien ; 12)
ISBN 978-3-662-63310-6 : € 74,99 (brosch.; auch als e-Book)
Tobias Bonz‘ Dissertation (Pädagogische Hochschule Freiburg 2020) referiert in weiten Teilen Schulgeschichte des 18. Jahrhunderts, eine Phase, die gekennzeichnet ist von der allmählichen Loslösung aus kirchlichen Bindungen, zahlreichen Entwürfen und Schriften zu einer der Aufklärung entsprechenden Pädagogik, Schulgründungen und der Notwendigkeit, die nachwachsende Generation auf die neuen technischen Anforderungen der Industrialisierung vorzubereiten. Der Autor behandelt diese Entwicklung, die er irreführend „Reformpädagogik“ (S. XI) nennt, in einer lockeren Zusammenfügung von Biographien, der Würdigung ästhetischer und pädagogischer Schriften und Beschreibungen von Schulen: Haldenstein-Marschlins in der Schweiz, die Ecole militaire von Gottlieb Konrad Pfeffel in Colmar, das Philanthropin in Dessau und eine Vielzahl von Schulen im badischen und württembergischen Raum. Nach diesen weitschweifigen Annäherungen gelangt der Autor S. 239 endlich zum Thema: einem Musikzweig, der am Pforzheimer Pädagogium 1776 eingerichtet wurde. Leider war es „nicht Ziel der vorliegenden Arbeit, die äußerst interessante und für die heutige Nutzen-Diskussion von Schulbildung aufschlussreiche Umbruchphase des Pforzheimer Pädagogiums und der darin gelehrten Pädagogik zu analysieren“ (S. 247). Hintergrund der Diskussion um humanistische oder eher an Realien ausgerichtete Lernziele war offenbar die Entstehung der Schmuck- und Uhrenindustrie, der Zuzug ausländischer Fabrikbesitzer und der Mangel an (z. B. zeichnerisch) geschulten Arbeitskräften. „So entstand in den Jahren nach 1776 allmählich eine tragfähig funktionierende Abteilung des Pädagogiums, welche sich an den Notwendigkeiten der Bürger Pforzheims und deren späterer [sic] Berufsfelder orientierte. [...] Der Name Realschule taucht in diesem Zusammenhang bereits 1780“ (S. 247) auf. Tobias Bonz geht der Entwicklung des Musikzuges detailliert nach, charakterisiert die Rektoren Nikolaus Sander und Jakob Friedrich Theodor Zandt sowie den Musiklehrer David Andreas Forstmeyer, der gleichzeitig Pforzheimer Stadtmusikus war. Die Schüler, Söhne von Fabrikanten, Verwaltungsbeamten, Geistlichen und Lehrern, wurden 16 Stunden wöchentlich wahrscheinlich in Kleingruppen unterrichtet und hatten die Wahl zwischen Geige und Flöte. In Schülerkonzerten wurden entsprechend Duette, Trios und Solokonzerte aufgeführt. Wie die Besetzung von Streichquartetten und Sinfonien (S. 239, 300ff.) bewerkstelligt wurde, bleibt offen.
Die Arbeit, die im Hauptteil aufbauen konnte auf einem Buch von Joachim Kremer über die Geschichte der Pforzheimer Lateinschule (Ubstadt-Weiher 1997), agiert phasenweise umständlich und unsortiert. Überflüssig sind manche Zutaten im Anhang, in den der Autor sozusagen seine Zettelkästen geleert hat: z. B. eine Art Sachregister zu Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste und eine fast zweiseitige Tabelle der Taufeinträge von David Andreas Forstmeyers 12 Kindern samt Paten.
Man hätte dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat gewünscht. Sollte dies „Planung/Lektorat“ des Metzler Verlages überfordert haben, wäre es nützlich gewesen, wenn die prominenten Leiter der „Gesellschaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg e. V.“ (Herausgeberin der Reihe) das Buch vor der Drucklegung einmal gelesen und die zahlreichen sprachlichen, Schreib-, Komma- und Zitierfehler ausgemerzt hätten („… an einigen konkreten Beispielen konkret vorgestellt“ S. 72, „Magister Atrium“ S. 85, ein Anknüpfungspunkt „bestand in der familiären Bande…“ S. 192 u.v.a.).
Freia Hoffmann
Bremen, 08.12.2021