Pete Townshend: Das Zeitalter der Angst. Ein Kunstroman. Aus dem Englischen von Alan Tepper. – Höfen: Hannibal, 2020. – 279 S. [The Age of Anxiety]
ISBN 978- 3-85445-658-8 : € 23,00 (Softcover)
Im gleißenden Gegenlicht steht ein junger Mann auf einem Berg. Sein Oberkörper ist nackt. Das lockige blonde Haar schimmert goldfarben, wie ein Heiligenschein liegt es um seinen Kopf. Dann fliegt er los … dem Sonnenuntergang entgegen. Ein Bild wie geschaffen für die Schlussszene einer Fantasy-Romanze. Doch dieser Eindruck trügt. Keinen pathosgeladenen Fluchtpunkt hat der Autor gestaltet. Das nur vorgegaukelte Happy End ist lediglich die Exposition für eine verstörende Auseinandersetzung der handelnden und schreibenden Personen mit dem eigenen Leben, den Beziehungen zu geliebten Menschen und den großen Fragen nach Kunst als kreativer Ausdrucksform.
Der junge Mann ist ein Rockstar, der sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere in die Einsamkeit der Berge zurückzieht, sich fortan der Malerei sowie der Suche nach sich selbst widmet. Der Erzähler, Kunsthändler von Beruf, beginnt eine Geschäftsbeziehung mit dem ehemaligen Musiker und stellt ihn seinem Patenkind vor. Dieser, Frontmann einer erfolgreichen Pubrock-Band und vor ähnlich existentiellen Problemen stehend, geht ebenfalls für mehrere Jahre in Klausur und setzt schließlich seine Visionen in avantgardistische Soundgemälde um. Der alternde Kunsthändler versucht zeitgleich einem dunklen Geheimnis aus seiner Vergangenheit auf die Spur zu kommen.
Es geht also um Musik in Das Zeitalter der Angst. Und um die große Kunst. Und um Liebe, Sex und Missbrauch. Um die Suche nach der eigenen Identität. Also kurz gesagt: Um die großen Themen des Lebens. Der Autor, der dem Erzähler seine Worte eingibt und dabei eigene Erfahrungen reichlich beimischt, ist Pete Townshend. Die Windmühle an der E-Gitarre, einflussreicher Komponist und treibende Kraft in der legendären Rockband The Who. Mit Zeitalter der Angst legt Townshend sein Erstlingswerk vor, doch sollte man den 1945 geborenen Engländer nicht für einen literarischen Neuling halten. Die beiden als Rockoper bezeichneten Werke Tommy und Quadrophenia zeigen schon früh seine Ambitionen, in größeren musikalischen und literarischen Dimensionen zu denken. In den 1970er Jahren beginnt Townshend, journalistisch zu arbeiten, auch gründet er einen eigenen Buchverlag. In den folgenden Jahrzehnten schreibt er Magazinartikel, Kurzgeschichten und Sachliteratur. 2019 schließlich veröffentlich er mit The Age of Anxiety seinen ersten Roman.
Der deutsche Verlag gibt dem Buch die Gattungsbezeichnung „Kunstroman“ mit und vergleicht es mit einer großen Oper. Solche Begriffe sind aber nicht zuletzt deswegen problematisch, weil sie Werke mit einer Bedeutung aufladen, die der Inhalt oftmals nicht einhalten kann. Dieser Eindruck stellt sich auch nach der Lektüre von Das Zeitalter der Angst ein. Der Plot auf den verschiedenen Handlungsebenen wirkt mitunter arg konstruiert, das Beziehungsgeflecht der vielen jungen Frauen zur Hauptperson und zum Erzähler erschließt sich ebenso wenig wie die Motivation hinter einzelnen Aktionen. Auch die musikstilistische Bandbreite vom wild-energetischen Pubrock bis zu avantgardistischen Klangkonstellationen ist doch sehr bemüht und ein paar vertrackte Polyrhythmen zu viel. Autobiografische Bezüge sind hier sicherlich enthalten. Das Spannungsfeld zwischen rohem Rock und progressiven Klangflächen findet sich bereits bei The Who und die anfangs beschriebenen Szene scheint pixelgenau aus der 1975 erschienenen Filmfassung der Rockoper Tommy mit Roger Daltrey übernommen worden zu sein. Weitergehende Betrachtungen werden sicher auch Parallelen zur Geisteswelt von Meher Baba aufdecken, dem indischen Mystiker, dem Pete Townshend schon früh folgte. In dieses Setting passt auch die Beschreibung des in seinem Refugium klavierspielenden Helden Walters (S. 166), in dem ein anderes musikalisches Genie mit psychischen Problemen und Marotten durchschimmert: Brian Wilson in seinem mit Sand aufgefüllten Musikzimmer.
Dass Handlung und autobiografische Elemente nicht überzeugen können, liegt auch an der sprachlichen Umsetzung. Stereotype Beschreibungen wechseln sich mit Formulierungen ab, die sich einerseits um Originalität bemühen, andererseits mit einer übertriebenen Faktenfülle Glaubwürdigkeit vermitteln sollen. Eine Entwicklung der Protagonisten aus sich selbst heraus wird somit erschwert; dieser Raum wird ihnen von Townshend leider nicht zugebilligt. Dabei zeigt der Autor in den zahlreichen Traumsequenzen durchaus, dass er über ein großes Sprachgefühl verfügt. In Anbetracht seiner Biografie als Songwriter wäre etwas anderes auch erstaunlich, zu selten aber regt er die Fantasie seiner Leserschaft auf solche Weise an.
In einem Postskriptum schreibt Townshend, dass er hoffe, aus der verschlungenen Geschichte die Basis einer Oper entwickeln zu können. Vielleicht liegt hier gerade das Potential des Romans: Reduziert auf eine Anzahl kleinteiliger Rocknummern könnten die Gedanken wie schon bei Tommy oder Quadrophenia eine wesentlich nachhaltigere Wirkung entfalten.
Michael Stapper
München, 11.01.2021