Robert H. Balson: Ada, das Mädchen aus Berlin. Roman. Aus d. Amerik. übers. von Gabriele Weber-Jarić. – Berlin: Aufbau, 2020. – 468 S.
ISBN 978-3-7466-3627-6 € 12,99 (Broschur; auch als e-Book)
Ada, das Mädchen aus Berlin – dieser Titel ist so schlicht, dass er den Erwartungen des Lesers viel Spielraum lässt. Und das zu Recht – der Roman von Robert H. Balson ist vielschichtig und tiefgreifend erzählt und spielt an verschiedenen Orten, von denen Berlin nur einer unter vielen ist.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2017 in Italien, in einem toskanischen Landhaus – traumhaft in den Weinbergen gelegen. Diese Idylle wird sofort gestört durch den Anwalt Lenzini, der die Besitzerin des Hauses, Gabriella Vincenzo, aus ihrem Haus vertreiben will, weil angeblich nicht sie, sondern die Firma VinCo die Eigentümerin sei, der ganz nebenbei alle umliegenden Grundstücke gehören. So windig wie Lenzinis Charakter gezeichnet wird, scheinen auch Gabriellas Anwälte zu sein, die ganz offensichtlich von VinCo oder Lenzini bestochen wurden. Gabriella holt sich in ihrer Verzweiflung Unterstützung aus Chicago, wo ihr Neffe Tony lebt, der mit der Anwältin Catherine Lockhard und deren Ehemann Liam Taggert befreundet ist. Das Ermittlerduo ist dem ein oder anderen vielleicht schon aus den vorherigen Bänden dieser Reihe bekannt. Robert H. Balson, der aufgrund seiner eigenen Anwaltstätigkeit viel durch die Welt gereist ist, hat Catherine und Liam erschaffen und lässt sie in seinen Büchern vorzugsweise in Europa ermitteln. Mit diesem Buch sind im Aufbau-Verlag bereits drei Bände (von insgesamt fünf) dieser Reihe in deutscher Übersetzung erschienen.
Catherine und Liam reisen in die Toskana; im Gepäck die Memoiren von Ada Baumgarten aus den Jahren 1929–1944, einer begnadeten Geigerin aus Berlin. Sie sind überschrieben mit einem Musiktitel: Meditation. Ein Stück für Solovioline. Gemeint ist die Meditation aus Jules Massenets Oper Thaïs. Dieses Musikstück ist quasi die Schablone für den gesamten Roman.
Gabriella hatte Catherine gebeten, die Memoiren zu lesen, um auf die Ermittlungen vorbereitet zu sein. Adas Erinnerungen werden fortan verwoben mit der Geschichte, die 2017 in Pienza und Chicago spielt. Bereits nach wenigen Seiten kann sich der Leser dem Geschehen kaum entziehen: die ergreifende Geschichte des jüdischen Mädchens Ada, das in Berlin als Tochter des Konzertmeisters der Berliner Philharmoniker aufwächst und sich recht bald als begnadete Musikerin erweist, fesselt. Obwohl die Geschichte fiktiv ist, schildert Balson realistisch die Vorgänge in Hitlerdeutschland am Beispiel der Familie Baumgarten und schlägt einen Bogen bis hin in die Gegenwart, der am Ende zur Lösung des „Falls“ führt. Diese Zusammenhänge sollen an dieser Stelle natürlich nicht vorweggenommen werden.
Dem Autor gelingt es durch eine empathische Sprache, die Charaktere regelrecht zum Leben zu erwecken, sodass sich der Leser als Teil der Geschichte fühlen kann.
Die Meditation erweist sich im Laufe der Geschichte als Adas intimstes Musikstück, das ihr auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Das sanfte Thema der Solovioline spiegelt die Lebensfreude und Empathie wie auch die Melancholie und Dramatik ihrer Geschichte in unnachahmlicher Weise wider.
So ist diese Geschichte, die als eine Art „Krimi“ angelegt ist, viel mehr als die Rahmenhandlung zunächst vermuten lässt. Geschichtliche Fakten und Personen wie beispielsweise der Dirigent Wilhelm Furtwängler, der die Familie Baumgarten – deren Charaktere frei erfunden sind – mit allen ihm möglichen Mitteln unterstützt, sind gut recherchiert und fein mit der fiktiven Handlung verwoben. Adas Geschichte ist ergreifend wie Massenets Meditation – ein Buch, das sich flüssig liest und bewegt. Ein Buch voller Musik – eine Hommage an Massenet und an alle Juden, die unter dem NS-Regime gelitten haben sowie an jene, die sich diesem Regime mutig entgegengestellt haben.
Barbara Wolf
Heidelberg, 25.07.2020