Christopher W. Gortner: Marlene und die Suche nach Liebe. Roman / Aus d. Engl. übers. von Christine Strüh. – Berlin: Aufbau, 2019. – 544 S.
Originaltitel: Marlene
ISBN 978-3-7466-3506-4 : € 12,99 (Klappenbrosch.; auch als eBook)
Der deutsche Titel des Romans von Christopher W. Gortner lässt zunächst einmal nicht allzu viel Gutes ahnen, vor allem in Verbindung mit dem schwülstig-reißerischem Klappentext und dem Umschlagbild… Aber wenn man sich nicht schrecken lässt, sondern trotzdem zu lesen beginnt, wird man angenehm überrascht. Die Sprache ist lebendiger und knapper als befürchtet und nur in den Sex-Szenen dann doch ein wenig trivial – von denen allerdings gibt es ziemlich viele…
Erzählt wird in Ich-Form, aus der Sicht der Marlene Dietrich (1901-1992), von ihrer Jugend an bis kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Es ist eine Erzählung über ihre zahlreichen Liebesgeschichten mit Männern und Frauen – über ihre Suche nach Liebe eben. Von daher liegt der deutsche Titel doch gar nicht so daneben. Und er lautet ja immerhin nicht: „…und die Suche nach DER Liebe.“ Die eine große Liebe – das wäre nichts für Marlene, wie sie im Roman geschildert wird, und wie sie aber auch sonst aus den historischen Zeugnissen uns entgegen kommt.
Besonders spannend wird der Roman an den Stellen, an denen man einen Eindruck von dem damaligen Berlin und der Stimmung dort bekommt, von den Unterschieden zwischen der UFA und Hollywood – an diesen Stellen wünscht man sich noch viel mehr desgleichen. Marlenes Weg von der Geige über das Singen zur Schauspielerei wird sehr realistisch gezeichnet: es geht nicht nur um hehre Ideale und Träume, um die Auseinandersetzung zwischen dem Wunsch der Mutter und ihrem eigenen Wunsch, es geht eigentlich gar nicht um den einen großen Traum, den sie schon lange gehabt hätte – es geht vielmehr im Berlin der 20er Jahre um die Frage, wie ein Mädchen überhaupt erst einmal überleben und einen Weg finden kann, zwischen Revuen, zwielichtigen Nachtclubs und lauter anderen Mädchen, die allesamt schon sehr desillusioniert sind, und sehr neidisch und böswillig werden können, wenn einer von ihnen ein wenig Erfolg winkt. An dieser Stelle tappt der Roman nicht in die Falle, das soap-typische “lebe deinen Traum” und “du musst es nur wollen und an dich glauben” zu verbreiten.
Ganz besonders starke Szenen sind zwei, drei Gespräche mit ihrem Mann Rudi (wenn sie sich denn mal sehen): eines über die bedrohlicher werdende Situation im Nazi-Deutschland, die ihr zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so klar ist; ferner die Auseinandersetzung mit der bzw. über die gemeinsame Tochter und deren Lebensort und deren Wünsche – und das Gespräch darüber, warum sie sich nicht scheiden lässt, in welchem er sein Notnagel-Dasein und ihre Angst vor der Einsamkeit im Alter in nüchterne aber umso berührendere Worte fasst.
Dann folgt ihr beeindruckendes Engagement für die Truppen, das ihr zwar viel zumutet, das ihr aber auch Erfahrungen mit dem Publikum beschert, die sie so nie wieder haben wird.
Und dann natürlich die Szene in Bergen-Belsen, als Marlene nach dem ersten Schock, dass sie ihre Schwester dort treffen soll, dann auch noch begreift, dass die Schwester dort nicht Häftling war. Zwar hat sie auch nicht direkt im KZ als Aufseherin gearbeitet, aber dass sie mit ihrem Casino eben doch weitgehend von den SS- und von den Wehrmachts-Leuten gelebt hat, das kann ihr Marlene nicht verzeihen. Sie noch weniger, als der Mann, der selber dort inhaftiert war, und jetzt für die Alliierten diese ganzen Identitätsfragen klären soll. Er, der selber das Lager überlebt hat, hat die innere Distanz und Besonnenheit, einen Unterschied zu machen zwischen dem Ehepaar, dass das Casino betrieb, und den eigentlich Tätern im Lager; er bringt Marlene dazu, wenigstens die Identität ihrer Schwester zu bestätigen. Eine Figur und eine Szene, die aus dem Roman völlig einzigartig herausstechen. Die Lektüre des Buchs, das im englischen Original schlicht Marlene heißt, lohnt sich also durchaus – und ein wenig Zuckerguß kann man ja mit hinunterschlucken.
Anna Nguyen-Huu
Berlin, 28. April 2020