#yeswecancan: Köln soll Offenbach-Stadt bleiben!
Zumindest noch für den Rest dieses Jahres.
Obwohl Jacques Offenbach als netter Herr mit Hut auf dem Giebel des Alten Rathauses in Stein gemeißelt ist, war er ‑ bis das Offenbach-Jahr 2019 anbrach ‑ in seiner Geburtsstadt ziemlich unbekannt. Das dürfte sich inzwischen geändert haben dank der bisherigen Aktivitäten der Kölner Offenbach-Gesellschaft und ihrer fleißigen Partner. Jetzt ist Endspurt angesagt, und es geht sozusagen ans Eingemachte, d.h. an die Bestände und neuerlichen Funde in den privaten und öffentlichen Archiven. Was da in dem neulich noch eingestürzten Stadt-Archiv und auch bei den Nachkommen der Familie Offenbach doch noch alles zu finden war!
Z. B. ist im Kölner Stadtarchiv Offenbachs Wirken im Revolutionsjahr 1848 für den Kölner Männergesangsverein (KGMV) und die Bürgerwehr dokumentiert und wurde nun auch öffentlich vom selben, immer noch existierenden Verein gebührend gewürdigt, d.h. wieder aufgeführt – in der ausverkauften Kölner Philharmonie während des heurigen Jahreskonzerts am 22.10., das verdeutlichen konnte, in welch demokratisch-freigeistiger Tradition sich der Verein auch in musikalischer Hinsicht mithilfe Offenbachs anno 2019 lobenswerterweise gestellt sehen möchte. Dass es bei Offenbach Wege von der satirischen Operette zur Sympathie mit der französischen Volkssouveränität und zur Verherrlichung eines republikanischen vereinten Deutschlands gab, wurde aus einigen seiner Chor-Gesänge im Revolutionsjahr 1848 klar, als Offenbach seine Wahlheimat Paris verlassen musste und bei dem damals schon sechs Jahre alten Kölner Gesangverein antichambrierte, was seiner Familie ein bisschen Lebensunterhalt gewährte. Offenbach steuerte nicht nur Instrumentalstücke wie eine Fantasie zu Rossinis Wilhelm Tell und eine Tarantella für Violoncello und Orchester bei, ob allerdings das Vaterlandslied aus der Oper Die Rheinnixen jemals vom KGMV gesungen wurde, bleibt dahingestellt. Die singenden patriotischen Kölner Jungs mochten seine Musik damals wirklich und brachten ihm für seine Verdienste um die Gestaltung des damals 6. Jahreskonzerts ein Ständchen dar. Auch für den kurzlebigen Kölner Bürgerwehr-Musikchor schrieb Offenbach ein Bürgerwehrlied. Das Schöne an dem diesmaligen Jahreskonzerts des KMGV unter dem Titel „Piff-Paff-Pufff“ (nach dem Couplet des General Bumm aus Die Großherzogin von Gerolstein) unter der Leitung und angenehmen Moderation seines langjährigen Chefdirigenten Bernhard Steiner war, dass Offenbach in seiner Zeit vorgestellt und mit seinen in ähnlichem Sinne komponierenden Zeitgenossen Meyerbeer, Halévy, Kücken, Schumann, Verdi, Bizet und von Suppé in Einklang gebracht wurde.
Weiter geht‘s! Zurück ins Jahr 1831, Jakob Offenbach noch in Köln, hilft seinem Vater bei der Synagogenmusik in der Glockengasse und schreibt und spielt mit seinem Bruder Julius fürs Familienalbum Lieder mit Gitarre, während der Vater Isaac, liberaler Kantor und Lehrer, ein Stück für die ganze Familie schreibt. Es wird dargeboten zusammen mit den Lebenserinnerungen der Tochter Julie, vorgetragen von Mutter Beimer aus der Münchner Lindenstraße alias Marie-Luise Marjan im Kleinen Sendesaal des WDR am 17.10.
Vorher schon am 12.10. eine einmalige Vorstellung im Kölner Opernausweichquartier der Strassburger Produktion der seit 158 Jahren nicht mehr aufgeführten satirischen Oper Barkouf oder ein Hund an der Macht, gedacht für infernalisches Gelächter über heute wiedergekehrte bedrückende Zustände in der Politik. Bevor wir an dem hündischen Charakter aktueller Politiker verzweifeln, darf erst mal tüchtig gelacht werden.
Weniger zu lachen gab‘s bei Wagner. Oder doch? Das romantisch erweiterte Orchester für ältere Musik, Concerto Köln, will es wissen und kundtun, am 20.10. in der Philharmonie. Engagiert wurde der Dirigent Kent Nagano, einer, der es wissen sollte, ob zwischen Offenbachs Höllengalopp und Wagners feierlichen Motiven irgendein Zusammenhang oder voneinander abhängiger Gegensatz besteht. Zur Aufführung gelangen in einer neuen (bzw. historischen) Les- und Spielart Ouvertüre und Venusberg-Szene aus der Pariser Fassung des Tannhäuser, etwas Debussy sowie der 3. Akt der Contes d’Hoffmann. Am 16.10. wird darüber im WDR-Funkhaus debattiert, leider ohne die verstorbene Kölnerin Grete Wehmeyer, die sich da schon bestens auskannte, mehr als manchem heute lieb sein wird.
Die Kölner Volksbühne entführt ab 15.10. in ein Offenbach-Panoptikum. Am 1.11. dann, immer noch kein Karneval, wartet das Kölner Kabarett-Theater mit einer Boulevard-Komödie auf, die zeigen will, wie Offenbach auf’s heutige Köln blicken würde, wenn er noch quicklebendig wäre und nicht versteinert auf den Heumarkt schauen müsste. Das Ganze mit Jazzern ab 18.00 Uhr, könnte ein open end geben.
Issac Eberst, der jüdische Kantor aus Offenbach, der sich und seine Kinder dann so nannte, wo er herkam, schrieb zum Purim-Fest 1833 ein Singspiel, mit Titel Esther, er selber spielte darinnen den Narr, sein Sohn Jakob einen Pagen, also Bouffe-Tradition schon beim Vater! Thomas Höft als Regisseur will das Ganze brandaktuell auf moderne Untergangsszenarien trimmen und es in und aus gKölle kommend spielen lassen – damit‘s so richtig gruselt im (wirklich stillgelegten?) Atombunker (am 13.11., ’s ist schon Karneval).
Kein Offenbach-Jahr ohne Epilog. Den liefert Die Kölner Akademie (ein Orchester) unter der Leitung von Michael Alexander Willens, am 27.12., zwischen den Jahren, in der Philharmonie, mitten im Karneval. Offenbach im Original, so aufspielend wie damals in Paris, geboten werden zwei Einakter: Trafagar sur un vulcan und Pomme d’api.
Und in der Region? Für die Schulen in NRW gibt es einen digitalen Offenbach-Koffer zum Selberbasteln. Ein Schulprojekt lautet: Maschinen bei Offenbach mit jeder Menge Beispielen aus seinen Operetten. Ein Streichquartett-Reise-Ensemble mit dem Einakter Marie Laporte verläuft sich auch in den Düsseldorfer Landtag. Und am 16.12. ist Staffelübergabe, auf dem Rhein bei Bonn (Achtung, Nixengefahr!), die Neulinge der Kölner Offenbach-Staffel übergeben den Festival-Stab an die alten Hasen der Bonner Beethoven-Staffel, Bonn ist ja nun schon seit Jahrzehnten nicht nur Bundes-, sondern auch Beethoven-Stadt.
Peter Sühring
Bornheim 26.09.2019