Jürgen Wilhelm: Isaac Offenbach. Reformorientierter Kantor – Vater von Jacques Offenbach. – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2019. – 80 S.: Abb. (Jüdische Miniaturen ; 236)
ISBN 978-3-95565-320-0 : € 8,90 (kt.)
Pünktlich im Offenbach-Jahr, das aus Anlass des 200. Geburtstags von Jacques Offenbach begangen wird und in dem besonders in Köln des an Paris verlorenen Sohnes der Stadt gedacht wird, gerät nun dankenswerter Weise auch dessen Vater Isaac ins Blickfeld der Öffentlichkeit und wird mitgefeiert. In den vergangenen März fiel sein 240. Geburtstag und wiederum pünktlich zu diesem Anlass erschien in der Reihe der Jüdischen Miniaturen des inzwischen in Leipzig stationierten Hentrich&Hentrich Verlags eine Schilderung des Lebens und Wirkens dieses bedeutenden jüdischen Musikers. Er lässt sich nun besser und kenntnisreicher in die Reihe großer jüdischer Kantoren des 19. Jahrhunderts stellen, denen im Rahmen dieser Reihe schon Miniaturen gewidmet waren. Denn es besteht durchaus Anlass dazu, ihn als das rheinische Pendant zu Sulzer in Wien, Naumann in Paris und Lewandowski in Berlin anzusehen und sich um seine hinterlassene Musik zu kümmern. Zu hören waren Einspielungen seiner synagogalen Musik übrigens auf einer inzwischen vergriffenen CD des Philharmonischen Chors Siegen aus dem Jahr 1997 ‑ zusammen mit solcher seines berühmten Sohnes Jacques, den man sonst nur wegen seiner weltlichen musikalischen Komödien kennt und schätzt. Im Anschluss an die musikhistorischen Aufklärungen in Form von Vorträgen und Artikeln durch den Kölner Musikprofessor Wolfgang Niemöller hat nun der Kölner Regionalhistoriker Jürgen Wilhelm eine griffige Kurzbiografie vorgelegt, die sehr zu begrüßen und der eine weite Verbreitung zu wünschen ist.
Trotz der relativ spärlich überlieferten Lebensdokumente (darunter allerdings die 1998 veröffentlichen Erinnerungen der Tochter Julie Grünewald) gelingt es Wilhelm, eine anschaulich erzählte Lebensbeschreibung und eine in jüdischer Kultur kenntnisreiche Darstellung von Isaac Offenbachs Leistungen für eine Belebung der jüdischen Musik zu geben. Sie beginnt bei den Offenbacher Anfängen mit dem Sohn des musikalisch begabten und in der Synagoge singend aktiven jüdischen Hauslehrers namens Eberst und einer Mutter namens Terz, der sich schon früh unter die örtlichen jüdischen Spielleute mischt und mit einer schönen Stimme begabt reist, um in Synagogen zu musizieren, d.h. die Funktion eines nicht fest angestellten wandernden Vorbeters (Chasan) zu übernehmen. Sie geht weiter mit Isaacs Übersiedlung in das nach der Vertreibung der Juden aus Köln im Jahr 1424 stark jüdisch besiedelte rechtsrheinische Deutz zu demselben Zweck. Sie erzählt von der Übersiedlung des „Offenbachers“ nach Köln, einem der ersten Juden, die sich während der napoleonischen Besatzung (die man in Hinsicht der jüdischen Gleichstellung auch als eine Befreiung betrachten kann) dort wieder niederlassen. Sie endet mit seiner Festanstellung als schlecht bezahlter Chasan der neu begründeten Kölner jüdischen Gemeinde, der sich, gesegnet mit vielen Kindern (unter ihnen sein Sohn Jacques),mit musikalischen weltlichen Aufträgen und Unterrichten von Gitarre, Violine, Flöte und Gesang durchschlagen muss, und der trotz erschütternden Todesfällen in der Familie unverdrossen Lieder, ernste und heitere, religiöse und weltliche Gesänge schreibt. Alle Stationen seines bewegten und aufopferungsvollen Lebens werden erzählt und, so weit möglich, durch Zitate beleuchtet. Die Verbindungen des Sohnes Jakob (auf Köllsch: Köbes), des späteren Jacques, von Paris aus zu seiner Kölner Familie und besonders zum Vater, waren intensiver als man denkt, und auch die Aufenthalte in Köln zwischen den Pariser Auftritten waren zahlreicher und länger als man gemeinhin annimmt ‑ nur zur Sterbestunde seines geliebten Vaters konnte Jacques, weil tout Paris ihn 1850 mit einem neuen Werk hören wollte, nicht anwesend sein. Umgekehrt war auch die Rolle des Vaters Isaac beim Versuch, den Sohn Jacques in Paris unterzubringen, etwas lernen und reüssieren zu lassen, größer als bisher vermutet.
An größeren Werken, die von Wilhelm genannt und beschrieben werden, hat Isaac Offenbach eine eigene Übersetzung, Kommentierung und musikalische Ausgestaltung der Pessach-Erzählung vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten: die Haggada, ein Purim-Lustspiel („Ester, Königin von Persien“) und eine Lieder-Sammlung hinterlassen, abgesehen von mannigfaltigen Vorschlägen und Ausarbeitungen für eine reformierte synagogale Liturgie. Wilhelm beschreibt sehr bewegend die geschickte und menschenfreundliche, fast heitere Art, mit der Issac Offenbach die innerjüdischen Parteibildung und Streitigkeiten unterlief mit Reformvorschlägen, die den gesetzlichen religiösen Grundbestand nicht antasteten, aber die Form und Einkleidung modernisierten, und er sich so den Angriffen der Orthodoxie humorvoll entzog.
Entscheidend für die stichhaltige Darstellung eines solchen Lebens und seines kulturellen Umfelds ist eine ausreichende Kenntnis des Judentums und auch der jüdischen Sakralmusik. Über beides verfügt der rheinische Regionalhistoriker in hohem Grade und man wird von ihm sicher durch die von Interessenkämpfen und widrigen Umständen geprägte Lebenszeit des Issac Offenbach geführt. Kleine Fehler sind relativ belanglos. So befremdet die Mitteilung auf S. 25, durch die von den Franzosen wieder ermöglichte Neuansiedlung von Juden in Köln um 1800 hätten „die Juden Kölns zum ersten Mal seit der römischen Zeit“ die Möglichkeit erlangt, „in der alten Römerstadt sesshaft zu werden“, war doch vorher die Vertreibung der Juden aus Köln auf das Jahr 1424 datiert worden. Insbesondere ist aber positiv hervorzuheben, dass überhaupt in einem längeren historischen Exkurs die Geschichte der Juden in Köln seit der Antike abgehandelt wird, wozu Wilhelm längere selbständige Forschungen, die er an anderer Stelle umfangreich dokumentiert hat, dienen konnten. Bedauerlicher ist, dass Wilhelm anlässlich der Pariser Taufe des Sohnes Jacques zwecks seiner Heirat mit der katholischen Dame Herminie d’Alcain auf S. 71 behauptet, auch Felix Mendelssohn wäre konvertiert. Die kürzlich erschienen Mendelssohn-Miniatur desselben Verlages hatte sich gerade bemüht, entgegen diesem Gerücht darauf hinzuweisen, dass man nur von einer Religion in eine andere konvertieren kann, dass aber bereits Mutter und Vater von Felix Mendelssohn und entsprechend ihre Kinder, darunter Felix, dem mosaischen Glauben und Ritualen nicht mehr anhingen. Die christliche Zwecktaufe, die Vater und Mutter Mendelssohn über ihre Kinder verfügten als Felix sieben Jahre alt war, um ihnen dann Jahre danach selbst zu folgen, konnte also keine Konversion gewesen sein. An dieser Stelle hätte spätestens das Lektorat des Verlags korrigierend eingreifen sollen.
Erfreulich sind jene die Personen und Zeitumstände veranschaulichenden Abbildungen im Innern des Bandes; der Bildnachweis für das Umschlagporträt auf der Rückseite des Titelblatts bezieht sich auf eine andere Miniatur.
Peter Sühring
Bornheim, 19.04.2019