Brookes, Phillip: George Butterworth – Words, Deeds & Memory: an unconventional biography – München: Musikproduktion Höflich, 2018. – xiii, 321 S.: Notenbsp., Abb.
ISBN 978-3-00-061424-8 : € 52,00 (geb.)
Es gibt Komponisten, die sind im deutschen Musikbewusstsein quasi nonexistent, während sie anderswo fast Kultstatus genießen. Es gibt Autoren in Großbritannien, die trotz (oder wegen) einer „nichtakademischen“ Karriere ausgezeichnete Bücher zur Musik oder Noteneditionen vorlegen. Und es gibt Verlage, die, während in Großbritannien in mancherlei Hinsicht ein wenig „Ebbe“ herrscht, Bücher herausbringen, die eigentlich zu einem britischen Verlag gehört hätten. All dies trifft im vorliegenden Fall zusammen. Phillip Brookes war – neben seinem Hauptberuf als Gefängnisdirektor – viele Jahre als Orchestermusiker und Dirigent tätig, und nach seiner Pensionierung konnte er seiner Neigung voll nachgehen. Er ist die führende Autorität zu der Musik von George Sainton Kaye Butterworth (1885–1916). Butterworth sollte Rechtsanwalt werden, wandte sich an der Universität aber zunehmend der Musik zu und wurde in das „Folk Music Movement“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts regelrecht hineingesogen: es gibt viele fotografische Aufnahmen von Butterworth als „Morris Dancer“. Zu seinen engsten Freunden gehörte Ralph Vaughan Williams, und als kurz vor dem Ersten Weltkrieg die Partitur von Vaughan Willams‘ London Symphony verloren ging, gehörte Butterworth zu den helfenden Händen, die aus den Orchesterstimmen die Partitur restituierten. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig und fiel bei der berühmten Schlacht an der Somme bei Pozières.
Trotz dieses kurzen Lebens hat Butterworth zahlreiche Autoren nicht nur zu Aufsätzen, sondern auch zu Büchern inspiriert, die sich zumeist vornehmlich mit der Musik befassen und die Biografie nur auszugsweise genauer in den Blick nehmen. Phillip Brookes hatte vollen Zugang nicht nur zur Sekundärliteratur, sondern auch den Primärquellen (er legte 2006/7 für die Musikproduktion Höflich eine umfassende Neuausgabe der Kompositionen vor, darunter auch Erstveröffentlichungen). Er kennt also Butterworth umfassend und passt das Konzept seiner Biografie, mit vielen auch dem Kenner der früheren Publikationen neuen Informationen, dem Leben und Schaffen Butterworths an. Originaldokumente, Werkanalysen und Abbildungen verlebendigen die sehr gut lesbare Arbeit noch weiter. Lange hat der Rezensent keine so facettenreiche, detaillierte und fundierte Komponistenbiografie mehr in Händen gehabt. (Da ist Brookes Unentschiedenheit, ob Butterworth, der möglicherweise am Asperger-Syndrom litt, homoerotische Neigungen hatte – ein vielspekulierter Fragenbereich –, zu verschmerzen: der fehlende Hinweis, dass die in Frage stehenden Gedichtvorlagen zu dem berühmten Liederopus A Shropshire Lad von dem gesichert homosexuellen A. E. Housman stammen, wäre zumindest ein erwähnenswertes Indiz.)
Unkonventionell ist die vorliegende Publikation aber auch in anderer Hinsicht. Nicht nur hat ein ausgewiesener Musikverlag sein erst zweites substanzielles Musikbuch vorgelegt, in herausragender editorischer Qualität, die wir auch von den Nachdrucken und Neuausgaben unbekannter Kompositionen kennen, auch das etwas größere Format, das vielleicht nicht zur Lektüre in der Badewanne, aber zum Lesen im Sessel einlädt, überzeugt, gerade auch mit den zahlreichen Illustrationen, Notenbeispielen und ausführlichen ergänzenden Registern. Eine etwas bessere Reproduktionsqualität hätte man sich von den Abbildungen gewünscht, doch ist dies tatsächlich der einzige Einwand bei dieser ansonsten vorbildlichen Publikation.
Jürgen Schaarwächter
Köln, 27.12.2018