Heinemann, Rudolf: Die Uraufführung. Eine satirische Erzählung. – München: Buch&media, 2010. – 110 S.
ISBN 978-3-86520-362-5 : € 12,90 (Pb.)
Anton Schriller, ein biederer Betriebswirt in Frührente, hat sich von seiner Frau, einer Gymnasiallehrerin mit Frauenrechtlerinnen-Ambitionen, getrennt. ein einziges Hobby sind Besuche von Konzerten mit klassischer Musik und – nach einer Zeit der sexuellen Enthaltsamkeit von gewissen Etablissements, wo er sich von den Damen des horizontalen Gewerbes verwöhnen läßt. Beim Besuch seiner Lieblingsprostituierten hat sich Schriller als Folge eines Superorgasmus einen Hirnriss zugezogen. Seitdem fällt er gelegentlich in entrückte Zustände mit Gedächtnisverlust. Eines Sommerabends findet im Park einer deutschen Großstadt die weltweit erwartete Uraufführung des multimedialen Gesamtkunstwerks eines sog. „Großkomponisten“ statt. Dieser selbst, dem Kontakte zu Außerirdischen nachgesagt werden, leitet die Aufführung von einem großen, auf einem grünen Hügel installierten Mischpult aus. Umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen sollen den Anschlag einer dadaistischen Terrorgruppe verhindern, die im Internet gedroht hatte, gegen die „monopolistische Vormachtstellung” des Großkomponisten zu protestieren. Der Anschlag bleibt aus, aber Merkwürdiges ereignet sich: Als sich plötzlich am anderen Ende des Parks ein dort geparkter Jaguar von selbst in Bewegung setzt, hechtet Schiller auf das Heck des Wagens und rollt quer durch die Uraufführung, bevor beide im Abenddunst verschwinden. Später findet man ihn schlafend in einem Blumenbeet (das Auto bleibt verschwunden), und dank seines Auftritts – an den er sich selbst nicht erinnern kann – erklärt man ihn zum Star der Uraufführung. Presse, Fernsehen, Musikmanager und der Kulturdezernent reißen sich um ihn, aber Schriller weist alle zurück: keine Interviews, keine Talkrunden, keine Beraterverträge, denn unter keinen Umständen will er gestehen, dass seine Tat mit seinem heimlichen Hobby zusammenhängt. Nur zwei Freunden, denen er bisher noch nie imponieren konnte, erzählt er die Wahrheit. Ihr Staunen lindert seinen Minderwertigkeitskomplex, und sein Hechtsprung verschafft ihm endlich den ersehnten Eintrit tin die Musikgeschichte.
Rudolf Heinemann, langjähriger WDR-Musikredakteur im Ruhestand, nimmt in seiner Realsatire die Musikavantgarde und ihre Protagonisten auf die Schippe: den superintellektuellen öffentlich-rechtlichen Kulturredakteur, Fernsehjournalisten, den Kritikerpapst der Lokalzeitung (du Mont). Würde nicht der Leiter der Buchmesse erwähnt (S. 84), käme man fast auf die Idee, dieses Musterbeipiel für Klüngel und Filz in Kultur und Politik spielte in Köln, mit den Hauptdarstellern Karlheinz Stockhausen sowie Vertretern des Stadtrates, einer großen Sendeanstalt und eines großen Verlagshauses. Der an sich zündenden Idee und dem reißerischen Klappentext wird der Autor dann leider nicht gerecht: Sprachlich allzu brav, manchmal sogar schlicht, dümpelt die Handlung dahin. Der richtige Biß oder Spritzigkeit fehlen. Schade, aus dem Stoff hätte man mehr machen können! Aber vielleicht sitzt man als WDR-Rentner doch noch zu sehr im Glashaus…
Marianne Bokel
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 189f.