Das Konzert. Neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form / Hrsg. von Martin Tröndle. – Bielefeld: Transcript, 2009. – 333 S.: Abb. (Kultur- und Museumsmanagement)
ISBN 978-3-8376-1087-1 : € 29,80 (brosch.)
Unmittelbar seit Erscheinen hat der von Kulturwissenschaftler Martin Tröndle herausgegebene Essay-Band Das Konzert eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Ist doch die Basisaller 22 Sachbeiträge der kühne, an die Grundfesten unseres Kulturbetriebs rührende Befund, dass das klassische Musikereignis als ästhetische wie soziale Institution an Relevanz verloren hat und sein Auditorium stetig älter und kleiner wird. Mögen auch die Chefs mancher florierender Konzertbetriebe auf hohe Auslastungen verweisen, kommt Tröndles statistisch belegte Diagnose doch nicht von ungefähr.
Vor allem aber schockiert er nicht mit Kassandrarufen. Vielmehr ist ihm und dem in Kulturfragen äußerst rührigen transcript-Verlag nicht genug zu danken für ein historiographisch, soziopsychologisch, kunstphilosophisch und politisch-ökonomisch ebenso exzellent untermauertes wie vernetztes Paket an verschiedensten praxisorientierten, partiell bereits bewährten Modifikations- und Innovationskonzepten. Tröndles spezielle Formel: Von der werkfixierten „Ausführungs-“ zur „Aufführungskultur“! Durchgängiger Tenor: Bewahren durch Verändern!
Tröndle selbst ortet das konzentrationsfordernde Symphoniekonzert historisch als Symptom der Bildungsbürgerkultur und fordert aufgrund sich wandelnder Publikumsstrukturen eine Ausdifferenzierung des Veranstaltungsbetriebs. Dessen Grundaspekte nehmen vier Beiträge unter „Das Konzertwesen und seine Akteure“ empirisch (u.a. Heiner Gembris, Susanne Keuchel) unter die Lupe: Entwicklung der Hörgewohnheiten, wirtschaftliche Faktoren, Untersuchungsresultate zur Publikumsentwicklung mit Plädoyers für eine frühere, positiv konnotierte Klassikvermittlung seitens Familie, Schule und Produzenten. Schließlich habe sich die Annahme, mit zunehmendem Alter wachse der Geschmack an Klassik, als Trugschluss erwiesen.
Erlebnis- und rezeptionspsychologisch ergründen Raimund Vogels, Jens Roselt, Elena Ungeheuer und Matthias Rebstock unter „Ritual und Performance“ neue Wahrnehmungsperspektiven via Verstärkung der sozialen Dimension, Effekte ungewohnter Konzertstätten und Strategien zur Produktion von Präsenz. Unter „Klang und Raum“ blicken Volker Kirchberg mit einer Typologie der Konzertsaal-Architekturen und Ludger Brümmer zu Entwicklungen in Akustik und Instrumentenbau auf Zukünftiges, bevor „Kommunikation und Körperlichkeit“ die Chancen von Gegenwartsmusik (Christian Kellersmann) und Wissensvermittlung (Peter Schleuning) propagieren. Die Kapitel „Dramaturgie und Inszenierung“ sowie „Im Gespräch“ reflektieren – unterbrochen von Matthias Sträßners „Kritischer Anmerkung“ zur Festivalkultur – erfolgreiche Projekte (z.B. Clubatmosphäre in der Berliner Yellow Lounge) und Institutionen (z.B. Deutsche Kammerphilharmonie Bremen). Fazit: einschlägige Pflichtlektüre!!
Andreas Vollberg
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 183f.