Baronsky, Eva: Herr Mozart wacht auf. Roman. – Berlin: Aufbau, 2009. – 319 S.
ISBN 978-3-351-03272-2 : € 19,00 (geb.)
Der Erstlingsroman von Eva Baronsky greift ein ebenso beliebtes wie faszinierendes Gedankenspiel auf: Was wäre, wenn Mozart in unsere Zeit katapultiert würde? Würde er sich in unserer hoch technisierten Welt zurechtfinden? Würde unsere Gesellschaft sein außergewöhnliches Genie erkennen?
Mozart findet sich ausgerechnet im Wien des Mozartjahres 2006 wieder. Diese Ungeheuerlichkeit kann er sich nur mit einem göttlichen Auftrag erklären: Er soll das Requiem zu Ende komponieren. Er begreift, dass er inzwischen als eines der größten Musikgenies aller Zeiten gilt, ihm jedoch seine Wiederauferstehung, zumal im Aufzug eines heruntergekommenen Penners, kein Mensch glauben wird. Der Gelegenheitsmusiker Pjotr hat Mitleid mit dem verloren wirkenden Kauz, der eine merkwürdig altmodische Sprache spricht, aber in Sachen Musik ganz offensichtlich ein Kenner zu sein scheint. Er nimmt ihn mit nach Hause. Nach und nach lernt Mozart alias Wolfgang Mustermann die Errungenschaften der modernen Welt schätzen: die Fuhrwerke ohne Pferde, die Silbermusik, die man immer wieder abspielen kann, das Licht ohne Kerzen, den überdimensionalen Nachttopf im Bad. Schwieriger gestaltet sich die Bestreitung des Lebensunterhalts. Denn trotz Zeitreise ist Mozart der nämliche Mensch geblieben mit all den liebenswerten Fehlern und Schwächen, wie sie aus Briefen und Aufzeichnungen bekannt sind. Auch im neuen Leben brüskiert er unabsichtlich Freunde und Förderer, die sein superiores Talent erkennen und ihm helfen wollen. Empfehlungen schlägt er in den Wind, Vermittlungsversuche torpediert er durch albernes Benehmen, er vergisst Verabredungen, das Geld rinnt ihm durch die Finger, kurz: Er ist unfähig, seinen Alltag zu bewältigen. Sein polnischer Freund nimmt immer mehr die einstige Rolle Leopolds ein, der Wolfgang ständig an seine Pflichten erinnert und diesem damit auf die Nerven geht. So kommt es, wie es kommen muss: Mozart fühlt sich auch in seiner neuen Haut zunehmend fremd und unverstanden. Die Katastrophe tritt ein, als er sich ernsthaft verliebt, diese Liebe erwidert wird und er daraufhin seiner Herzensdame gesteht, wer er wirklich ist …
Das Buch ist mit leichter Feder geschrieben und unterhaltend im besten Sinne. Doch trotz vieler amüsanter Szenen ist es nicht oberflächlich. Äußerst gelungen ist die Beschreibung von Mozarts Musikalität: Wie er sich im Rekordtempo die Musik nachgeborener Komponisten aneignet, wie er den Jazz für sich entdeckt, andere Stile in seiner Musik aufgehen lässt und weiterverarbeitet, wie er jedes Publikum mit seinem Spiel zu begeistern vermag, das bringt dem Leser das Wesen des Musikgenies näher als manche wissenschaftliche Abhandlung. Verblüffend gut hat die Autorin Mozarts Sprach- und Briefstil getroffen. Am Ende hält der Roman noch eine Überraschung bereit: Die Geschichte lässt auch eine völlig andere Lesart zu.
Verena Funtenberger
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 188f.