Abels, Norbert: Benjamin Britten. – Berlin: Boosey & Hawkes, 2017. – 332 S.: s/w-Abb.
ISBN 978-3-7931-4047-4 : € 34,95 (geb.)
Nicht erst seit dem Britten-Zentenarium 2013 ist das Schrifttum zu diesem Komponisten von erfreulicher Reichhaltigkeit. Allerdings, das sei sogleich ergänzt, vor allem im englischsprachigen Raum. Dass dieser Schatz im deutschsprachigen Raum vollauf bekannt ist, ist ebenso schwer zu erreichen wie der umgekehrte Fall – wichtige Beiträge in anderer Sprache haben auch im englischsprachigen Raum nicht die genügende Resonanz gefunden.
Mit offenkundiger Sympathie befasst sich Norbert Abels nicht erst seit gestern mit Britten. 1953 geboren, ist er seit 1997 Chefdramaturg der Oper Frankfurt und hat sich auch als Publizist einen Namen gemacht. Sein Stil ist – auch in diesem Buch – äußerst flüssig, gut lesbar. Ausgesprochen farbenreich und fesselnd gelingt Abels zumeist die Verbindung oder Absetzung biografischer und werkbezogener Abschnitte, wobei bestimmte „Lieblingswerke“ des Autors durchaus wahrzunehmen sind. Erfreulich unverkrampft befasst er sich insgesamt mit Brittens Liebesleben – nur der problematische Bereich der Neigung zu minderjährigen Jungen wird vielleicht etwas zu diskret behandelt, obschon hierzu in der nicht nur englischsprachigen Literatur zahlreiche Arbeiten vorliegen. So zeichnet er ein respektvolles, aber nicht überzeichnend sympathisches Porträt dieses wichtigen britischen Komponisten. Gelegentlich übernimmt er auch Vorurteile Brittens in seine eigene Denkungsart, vor allem dann, wenn diese Bereiche ihm marginal erscheinen (diverse Zeitgenossen werden so nur durch Brittens Brille gesehen, ebenso das Royal College of Music und andere Institutionen). Manche Bereiche gelangen aufgrund umfassender Vorarbeiten anderer überraschend ausführlich (etwa die Arbeit für den Film), so dass an anderer Stelle gelegentlich nicht ganz genügender Platz für andere Werkbetrachtungen bleibt. Andere Werkbetrachtungen bleiben überraschend deskriptiv (etwa The Rape of Lucretia, gerade in unmittelbarem Vergleich zu Peter Grimes); hier arbeitet sich Abels gelegentlich etwas zu schematisch an den mittlerweile entwickelten Topoi der Britten-Lesart ab, statt mit frischem Auge neu genau hinzuschauen. Überraschend schwach gerät so sein Beitrags zum War Requiem – ohne Blick auf die britische Musikgeschichte, ohne Blick auf das offenkundige Plagiat, das Britten hier vorgenommen hat, quasi intrinsisch aus der Perspektive des Apologeten verfasst. Im Vergleich hierzu sind stilistische Patzer (etwa bei Übersetzungen aus dem Englischen, aber auch bei der Darstellung gesellschaftlicher Formalien etwa zu Beginn des Buches) zu vernachlässigen.
Was den Rezensenten neben einer teilweise merkwürdig lückenhaften und erratischen Literaturliste (vielfach finden sich auch „Gelegenheitspublikationen“ wie Opernprogrammhefte, die kaum ein Leser in ihrem Zitationswert prüfen könnte) am meisten verärgert, sind die markigen, vollmundigen Werbesprüche des Verlages, die aber wohl dem Marktbedarf geschuldet sind; selbst die Wahl des Umschlagbildes spiegelt nicht wirklich den Inhalt. So bleibt ein leicht schaler Nachgeschmack, ohne dass dies von der Qualität des Buches selbst hätte nötig sein müssen.
Jürgen Schaarwächter
Karlsruhe, 23.04./04.05.2017