Die Kirchenmusik in Kunst und Architektur in 2 Bänden / Hrsg. von Ulrich Fürst und Andrea Gottdang. – Laaber: Laaber 2015. (Enzyklopädie der Kirchenmusik ; 5/I und 5/II)
Teilband I: 310 S.: 84 s/w Abb. – ISBN 978-3-89007-795-6; Teilband 2: 304S.: 62 s/w Abb. – ISBN 978-3-89007-796-3 : je € 128,00 (geb.)
Hieß es noch 1959, bezogen auf die dargelegte Thematik: „Hier ist noch alles zu tun“ (Reinhold Hammerstein in Acta musicologica 3/4), so zeigen die beiden Teilbände von Die Kirchenmusik in Kunst und Architektur, dass seither erfreulich viel getan wurde. Und dies von hervorragenden Fachleuten aus Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, aus Theologie und Architekturgeschichte, die hier auch als Autoren vertreten sind. Auf der einen Seite wird der gegenwärtige Stand der Forschung referiert, auf der anderen Seite werden die vorhandenen Defizite im Zusammendenken von Bildenden Künsten, Architektur und Kirchenmusik aufgezeigt. Es fehlt nach wie vor an interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Liturgieforschung und Musikikonographie, also dem „Sichtbaren an der Musik“ (Reinhold Hammerstein). Zugleich aber werden auch Wege für die zukünftige Forschung gewiesen. Es geht den beiden Herausgebern und den Autoren nicht um eine Geschichte der kirchenmusikalischen Ikonographie. Nicht einzelne Gestalten oder Phänomene werden analysiert, sondern exemplarisch ausgewählte Figuren, für den Gegenstand wichtige Aspekte, bestimmte kirchenmusikalische Gegebenheiten u.ä. werden innerhalb größerer Zusammenhänge betrachtet. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie in den Bilderwelten der Kirchenmusik dargestellt und entstanden im Zusammenwirken von Kirchenmusik, Bildenden Künsten und Architektur. Gängige Interpretationen werden hinterfragt und, wenn angebracht, korrigiert. Im Fokus der Erörterungen stehen dabei das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, wobei der Rahmen mitunter einerseits bis ins Altertum und andererseits bis ins 20. und sogar 21. Jahrhundert ausgeweitet wird. Die beiden reich bebilderten Teilbände sind in sieben Kapitel unterteilt: I. Kunstgeschichte der Kirchenmusik, II. Musikikonographie zwischen Himmel und Hölle; III. Konzeptionelle Bilder – Schemata, Personifikationen und Allegorien in der Ikonographie der Kirchenmusik; IV. Kirchenmusiker und kirchenmusikalische Praxis im Bild; V. Der Raum der Kirchenmusik – zur Realisation von Kirchenmusik und Sakralarchitektur; VI. Ikonographische Konzeptionen an den Orten der Kirchenmusik; VII. Synthesen: Notenschrift, Bilder und Texte; VIII. Ausblick.
Musik und Klang sind „vergänglich“. Dementsprechend erhalten Bilder und Texte einen besonderen Stellenwert. Wobei „das Dargestellte sorgfältig von seiner Benennung“ (S.35) oder seiner bildkünstlerischen Realisierung getrennt werden muss. Denn nicht das, was in der Realität vorhanden ist, sondern das, was dem jeweiligen Künstler wesentlich ist, bestimmt die von ihm zugrunde gelegten stilistisch-formalen Gesetze. Untersucht werden unter solchen Gesichtspunkten die Gegenbilder Himmel und Hölle; die Geschlechteropposition in musiktheoretischen Abbildungen, wo es zwar neun Musen, aber nur 8 Kirchentöne gibt; die Bedeutung von allegorischen Darstellungen, die sich ab dem 16. Jahrhundert nicht mehr der Kirchenmusik als Ganzem, sondern „nur“ noch einzelnen Aspekten widmen. Klarer und akzentuierter als Sprache vermitteln Bilder verschiedene „Sinnrichtungen“ (Teilband 1, S. 161), ob allgemein religiöse, allgemein humanistische, speziell konfessionelle u.a. Ein besonderes Kapitel wird dem Porträt als einem wesentlichen musikikonographischen Bereich gewidmet. Hochinteressant ist dann die Abhandlung von der Verflechtung zwischen Kirchenmusik und Bauwerk, wobei die Akustik, der Raumklang, innerhalb dieses Kapitels besondere Beachtung findet. Untersucht wird zudem der Zusammenhang zwischen den Bauformen und der liturgischen Ordnung. Unter diesem Aspekt setzt sich der Autor kritisch mit der vorliegenden Literatur zum Thema auseinander, will „zu einer deutlichen Korrektur“ anregen und versteht seine Ausführungen zum Thema als „Zwischenbericht“, allerdings mit einer klaren „Positionierung“ zum Gegenstand. (Teilband 1, S. 257) Natürlich geht es auch um Orgeln, um Musikemporen und Sängerkanzeln, um historische Bauten, Um- und Neubauten, wobei die interdisziplinäre Betrachtung über „reinfunktionale Aspekte“ (Teilband 2, S. 30) hinausgeht. Beispielhaft ist der fächerübergreifende Forschungsbericht zu Raum und Klang in den Kirchen Venedigs, bei dem Architekturgeschichte, Musikwissenschaft und Akustik eng miteinander verflochten sind. Alle Autoren nähern sich ihren jeweiligen Themen stets mit spürbarem Engagement, ob es nun um den Anbringungsort der bildkünstlerischen Ausstattung oder seinen Zusammenhang mit der Musikikonographie im Kirchenraum geht, ob um illuminierte Chorbücher oder die druckgraphische Ausstattung der protestantischen und katholischen Gesangbücher, ob um die „Kirchenmusik in den Medien der Moderne“(Teilband 2, S. 243) oder um kirchenmusikalische Kompositionen, durch die bildende Künstler zu eigenen Werken angeregt wurden, um – wie Ernst Barlach das ausdrückte – „etwas zu machen, was darüber und darunter ist“.
Nach jedem Kapitel wird die entsprechende Fachliteratur aufgelistet. Die Anmerkungen dagegen sind leserfreundlich auf den dazugehörigen Seiten dokumentiert. Die einzelnen Fachtermini werden kurz und verständlich erklärt. Zitate in lateinischer Sprache sind (fast immer) übersetzt. Wenn erforderlich, ermöglicht ein historischer Abriss die sozial-geschichtliche Einordnung. Es gibt aufschlussreiche und detaillierte Bildbeschreibungen. Der Anhang enthält ein Abkürzungs- und ein Abbildungsverzeichnis, ein Personenregister und die Biographien der 22 Autoren.
Ingeborg Allihn
Berlin, 04.08.2016