Der Kirchenmusiker. Berufe – Institutionen – Wirkungsfelder / Hrsg. von Franz Körndle und Joachim Kremer. – Laaber: Laaber, 2015. – 447 S.: 25 s/w-Abb. (Enzyklopädie der Kirchenmusik ; 3)
ISBN 978-3-89007-693-5 : € 128,00 (geb.)
Mit diesem gewichtigen Band wird das umfangreiche Thema Kirchenmusik um ein weiteres sehr interessantes Kapitel ergänzt. Erstmals, betonen nicht unbegründet die beiden Herausgeber im Vorwort, wird der aktuelle Wissensstand über den Kirchenmusiker präsentiert. Zwanzig Autoren, unter ihnen auch vier (!) Autorinnen, lassen in drei Hauptkapiteln (Vom Gemeindegesang zur institutionalisierten Kirchenmusik; Spezialisierung und Pluralismus; Modernisierungsprozesse) die kirchenmusikalische Tätigkeit in den letzten 2.000 Jahre Revue passieren. Porträtiert wird das ungemein breite Spektrum an unterschiedlichsten Berufen, an Wirkungsfeldern und Institutionen. Wie in den anderen Bänden der Enzyklopädie der Kirchenmusik liegt auch diesem Band das dort bewährte Konzept zugrunde, einerseits einen Überblick über das jeweilige Thema zu geben und andererseits durch kurze Fallbeispiele, Porträts u.ä. einen aufschlussreichen Gedanken, eine signifikante Person, einen besonderen Ort, einen Begriff u.ä. genauer zu erörtern. Auch wenn der Titel Der Kirchenmusiker es suggeriert, wird von den beiden Herausgebern im Vorwort zu Recht betont, dass es den Kirchenmusiker nicht gibt. Dass sich diese grundsätzliche Feststellung natürlich im Laufe der Geschichte auch auf die vielen, in diesem Bereich arbeitenden Frauen bezieht, wird leider nicht erwähnt, in den Texten allerdings als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.
In den einzelnen Beiträgen geht es „immer um die Kontexte, in denen sich kirchenmusikalisches Handeln ereignet“. Denn unterschiedlicher, breitgefächerter, vielgestalteter und durchaus auch spannungsreicher war und ist das Wirkungsfeld einer kirchenmusikalischen Tätigkeit nicht. Das beweist die hier vorliegende Gesamtschau. Sie kann und will keine „durchgängige Geschichte der Kirchenmusiker“ sein, die im Übrigen bis heute noch nicht geschrieben wurde. Auch kann sie weder vorhandene Wissenslücken gänzlich ausfüllen noch Defizite in der Forschung ausgleichen, wie zum Beispiel in der Professionalisierungsforschung, wo Musikerberufe bislang kaum Beachtung fanden. Wohl aber ist es den beiden Herausgebern und ihren MitstreiterInnen gelungen, dem Bild des Kirchenmusikers, dem Wachsen und Werden eines Berufsstandes vom Heiligen St. Martin (316/17 bis 397) bis zum A-, B- und C-Kirchenmusiker des 20. resp. 21. Jahrhunderts deutlich erkennbare Konturen zu verleihen. Ohne Kirchenmusiker gäbe es keine Kirchenmusik.“ (S.11) Eine Binsenweisheit, die lapidar klingt und doch auf all’ jene Dimensionen verweist, die dem Thema immanent sind, die theologischen bzw. liturgischen genauso wie die musikalisch-künstlerischen. Einzelne Stationen bei der Herausbildung des Berufsbildes werden beleuchtet; detailliert wird nachgefragt, welche Bedeutung und welchen Status Kirchenmusik und die in ihrem Auftrag Handelnden hatten und haben und worin sie sich von anderen professionellen Musikerberufen unterscheiden. Denn im Unterschied zu diesen spielen hier die Phänomene Semiprofessionalität und Laienmusikertum eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kirchenmusik kommt immer durch das Zusammenwirken Vieler zustande. Intensiv wird der Weg vom ‚cantor’ zum ‚Cantor’ und danach zum ‚Kantor’ nachgezeichnet, beginnend im 12. Jahrhundert bei Leonin und Perotin über Bruderschaften und Zünfte, „Orgelmacher“ (S. 123) und Organisten, Stadtpfeifer und venezianische Ospedali, über das Oratoriumswesen und den Caecilianismus bis zu den kirchenmusikalischen Ausbildungsinstituten des 20. und 21. Jahrhunderts. Wobei die sozialgeschichtliche Bindung der kirchenmusikalisch Tätigen genauso hervorgehoben wird wie die theologische Begründung der einzelnen Tätigkeitsfelder. Zahlreiche Fallstudien und entsprechende Zitate vertiefen die Argumentationen. Die vorhandene Literatur wird diskutiert, wobei auf Defizite hingewiesen wird. Dass die Frauenthemen, der Weg von kirchenmusikalisch tätigen Frauen „zwischen Ausgrenzung und Professionalisierung“ (S. 39ff. und besonders S. 289f.), ausschließlich von den Autorinnen behandelt werden, ist erheiternd.
Der Weg des Kirchenmusikers bzw. der Kirchenmusikerin im Spannungsfeld zwischen Konfessionalisierung, Säkularisierung und Modernisierung wird in vorliegendem Band 3 der Enzyklopädie der Kirchenmusik kenntnis- und umfangreich ausgeschritten. Bleibt zum Schluss die Frage, welche Rolle der/die KirchenmusikerIn und sein/ihr Gegenstand am Beginn des 21. Jahrhunderts spielt, in einer Gesellschaft, die im Wandel begriffen ist? Zu Recht haben die beiden Herausgeber am Ende der Publikation hinter diese „Alte[n] Fragen“ und ihre „neue[n] Antworten für die Zukunft“ ein dickes Fragezeichen gesetzt. (S. 391)
Erfreulicherweise findet man die Anmerkungen wie bei den bereits vorliegenden Bänden der Enzyklopädie auf der jeweiligen Seite. Auch wird auf einschlägige Datenbanken verwiesen, die im Internet zu finden sind. Ein Anhang mit Literatur- und Abbildungsverzeichnis, Namens-, Orts- und Sachregister sowie Kurzbiographien von 18 der 20 Autoren einschließlich der beiden Herausgeber beschließen diesen 3. Band der Enzyklopädie der Kirchenmusik.
Ingeborg Allihn
Berlin, 30.06.2016